Anrüchiges

Vom Standpunkt der Abwasserwirtschaft aus ist Venedig keineswegs in der Gegenwart angekommen. Ein Kanalsystem gibt es nicht, etwa ein Drittel der Abwässer wird in Fäkalientanks gesammelt und regelmäßig von eigens ausgerüsteten Kähnen abgepumpt, der Rest landet wie eh und je ungeklärt in der Lagune und wird mit der Ebbe in die Adria gespült.

So wenig zeitgemäß sich dies auch anhören mag: Venedig scheint bisher mit diesem Konzept recht gut auszukommen und dürfte sicher bis weit in die Neuzeit hinein die sauberste Stadt Europas gewesen sein – in London etwa müssen die Verhältnisse noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts katsatrophale gewesen sein; eine geregelte Ableitung von Abwässern begann erst nach dem Great Stink von 1852. — Glücklicherweise, meint Ferrari, sei das Wasser in der Lagune salzig.
Nun, die nach wie vor reichhaltigen Bestände an Fischen und Merrestieren in der Lagune dürften dieses reiche Angebot an Nahrung zweifelsohne begrüßen; im Bodensee etwa hat sich seit der Fertigstellung der Ringkanalisation die Wasserqualität so sehr verbessert, daß die Fische kaum noch Nahrung finden, die Bestände deshalb stark zurückgingen und die Fischer in ihrer Existenz bedroht sind – die in den Restaurants am See angeboten Felchen werden mittlerweise aus Polen importiert. Vor einem vergleichbaren Notstand scheint Venedig vorläufig gefeit.
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Als in Köln die Telephonnummern noch vierstellig waren und die Post ihren Kunden bei der Wahl der Nummer so weit möglich entgegenkam, erhielt ein ortsansässiger Latrinenleerer auf seinen Wunsch hin die Nummer 4711, die er auch sogleich in großen Ziffern auf die Fässer malen ließ, mit denen er sein wenn auch notwendiges, so doch etwas anrüchiges Gewerbe betrieb. Den Prozeß mit dem bekannten Duftwasserhersteller gleichen Namens, der sich hieraus nahezu unweigerlich ergeben mußte, habe er aber, so heißt es, verloren.
[fb]