Apoxyomenos II

Bekannte unerwartet zu treffen ist bekanntlich eine durchaus ambivalente Angelegenheit – ein so knappes wie komplexes Doppelpalindrom beschreibt dies treffend: »A, die Ida! – I, da Adi!« Dem armen Striegler aus Klein-Lötzing nach so kurzer Zeit schon wieder über den Weg zu laufen, war somit nicht unbedingt erfreulich, zumal die erste Begegnung noch nicht richtig verdaut war. Doch sollte beim zweiten Mal alles anders sein. Der architektonische Rahmen war diesmal keineswegs ein peinlicher, ganz im Gegenteil: Die Kirche des hl. Donatus in Zadar ist einer der Räume, in denen einem der Atem stockt – im frühen 9. Jahrhundert von eben jenem Donatus als Dreifaltigkeitskirche erbaut, vereint sie die Disposition der nur wenige Jahre zuvor fertiggestellten Aachener Pfalzkapelle mit byzantinischen Einflüssen, wobei die typologische Rafinesse darin besteht, daß das karolingische Vorbild selbst sich auf San Vitale in Ravenna bezieht, einen Bau, der sich nicht an Kirchentypen orientiert, sondern an dem von Justin II. errichteten Chrysotriklinos, der heute nur noch aus der Literatur bekannten Empfangshalle des Kaiserpalasts in Konstantinopel.

Wie Karls Pfalzkapelle in Aachen ist somit auch die Palastkapelle des hl. Bischofs Donatus ein Zentralbau mit zweigeschossigem Umgang, doch deutlich in die Höhe gezogen, und wie dort werden auch antike Säulen eingesetzt, von viel gewaltigeren Dimensionen jedoch und mit deutlich monumentalerer Wirkung. Im Gegensatz zu Karl hatte Donatus die Säulen aber vor der Tür, wie auch eine Vielfalt anderen antiken Materials, mit dem er sich eine wahre Spolienschlacht liefern konnte. Der aus diesen Spolien zusammengesetzte Sockel seiner Kirche ließe sich als architektonische Groteske bezeichnen – wenn denn die Relikte, die er verwendete, entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung einem andere Kontext dienstbar gemacht worden wären. So aber sind sie jeglichem Zusammenhang entzogen und als Auffüllmaterial ausgewiesen, allerdings auf eine derart explizite und auch sorgfältige Weise, daß das Verfahren selbst zu einem Träger von Bedeutung wird.

In einem anderen Sinne grotesk ist das zweite Erscheinen des Apoxyomenos hier in diesem Raum. Vorauszuschicken ist, daß es sich um ein Kunstwerk handelt – nicht das Kunstwerk, das die antike Bronze selbst ist, sondern eines, das sich ihrer bedient, also etwas, das man als eine parasitäre Aktion bezeichnen könnte. Ein Kunstanspruch entschuldigt bekanntlich alles – oder auch nichts, und vielleicht ist es ratsam, sich grundsätzlich an letzteres zu halten. Der Name des Künstlers sei nicht vorenthalten: Ante Rašić (*1953) ist es, der mit einer ins Riesenhafte vergrößerten, man ist geneigt zu sagen aufgeblasenen Version den Leiden des eh schon geschundenen Apoyxomenos neue Qualen hinzufügt. Denn warum nur muß die Sache so erbärmlich schlecht ausgeführt sein, und weshalb die Gesichtszüge so sehr ins Grobe gezogen? Warum nur muß der arme Schaumstoffkoloss mit Hunderten von Rasierspiegeln gespickt werden, was ihm ob der Billigkeit des Effekts nicht nur als Skulptur nicht bekommt, sondern ihn auch zu einer armseligen Banalität verdammt, wenn es um eine mögliche Bedeutung geht. Und weshalb wagt man es, solches diesem grandiosen Raum zuzumuten, der nicht nur ob seines ehrwürdigen Alters, und nicht nur ob seines sakralen Anspruchs, sondern auch einfach seiner überwältigenden architektonischen Qualität halber angesichts einer derartigen Zumutung schlichtweg kollabieren müßte?

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