Lieber Lorenzo Quinn,
wir vermögen es nicht, zu verhehlen, daß Sie Eindruck auf uns gemacht haben. Anthony Quinns Sohn zu sein, das ist schon etwas, und ihm dazu noch derart ähnlich zu sehen, das ist schon keine Kleinigkeit. Ein wenig mehr Charakter sprach zwar aus des Alten Zügen, es ging ihm die, wie sollen wir es nennen, etwas parfümierte Glätte ab, auf die Sie Wert zu legen scheinen, doch haben Sie’s im Ganzen gesehen gut getroffen. Und erst Ihr Künstlertum! Wir durften Zeuge sein, wie Ihre Assistenten Ihrem neuesten Werk den letzten Schliff gaben, zwei kolossalen Händen, unter Verwendung neuester Technologien aus riesigen Hartschaumblöcken gefräst und mit einer Oberfläche, die ziemlich geschickt den von Ihnen intendierten Eindruck von Beton imitiert, hier in Maghera, keinen Steinwurf von der INO entfernt. Und wie Sie dann selbst am letzten Tag erschienen, begleitet von Manager, Filmteam, Photographen und beeindruckenden Damen und dann selbst noch einmal Hand anlegten, sprich einen Pinsel ergiffen und die Fingerkuppen mit dem Handschweiß des Künstlers selbst parfümierten – nur um diese Essenz der Kunst kann es gegangen sein, denn Farbe war keine im Spiel – das war nicht nur sehr photogen, sondern es öffnete uns wirklich die Augen für einen Bereich des Kunstschaffens, der uns im Alltag eher verschlossen ist. Nicht weniger beeindruckt waren wir, als uns berichtet wurde, mit welch energischer Beharrlichkeit Sie, gegen den Willen der Denkmalbehörden und allem Anschein nach auch der Verantwortlichen der Biennale, Ihr Werk an prominentester Stelle durchzusetzen vermochten, unmittelbar neben der Cà d’oro im Canal grande, um es den Augen einer Öffentlichkeit darzubieten, die sicherlich noch weit beeindruckter sein wird als wir es jetzt schon sind. Und erst Ihr kluger Entschluß, sich gleich an die höchste und damit sicherlich auch kompetenteste Stelle zu wenden, wenn es um die heiklen Fragen der Durchsetzung von Gegenwartskunst geht! Kein anderer als der Bürgermeister Venedigs selbst konnte ja infrage kommen, wenn es darum ging, die Fachleute von Stadt, Biennale und soprintendenza in die ihnen gebührenden Schranken zu weisen. Hut ab! Da spielt es bestimmt auch keine wirklich entscheidende Rolle, daß die Hände ein wenig spannungslos aus dem Wasser ragen, und daß sie das Stützende, das sie ausdrücken sollen (wenn wir Ihre Aussagen richtig verstanden haben), nicht so recht mit der nötigen Entschlossenheit zu repräsentieren vermögen. Was hier zählt, sind doch nur in geringem Maß skulpturale Qualität und bildhauerische Kompetenz, werden deren Mängel ja von der guten Absicht, die Sie mit allem Recht zu verkünden nicht müde werden, nämlich dem Bezug zur Gefährdung nicht nur Venedigs durch den steigenden Meeresspiegel, mehr als ausgeglichen, und ist es doch schon die schiere Monumentalität, die Ihrer Arbeit die eigentliche Größe verleiht. Und seien Sie getrost: Auch Ihren großen Vorbildern – Sie nennen sie auf Ihrer homepage: Michelangelo, Bernini und Rodin, kann man sie sich trefflicher erwählen?! – wird wohl gelegentlich das eine oder andere nicht so ganz zur vollen Befriedigung gelungen sein, zumindest dem letzteren. Füssli hätten Sie im Kontext Ihrer venezianischen Unternehmung als Bezug unbedingt noch nennen müssen, sein berühmtes Blatt »Der Künstler verzweifelnd angesichts der Größe der antiken Trümmer«, wo er seine tiefe Niedergeschlagenheit ob der Mediokrität der Kunst seiner Gegenwart so unnachahmlich zum Ausdruck bringt: Sie stellen ihn vom Kopf auf die Füße! Ihr Werk provoziert, auf subtile Weise, eine vergleichbare Form von Niedergeschlagenheit – doch sind hier freilich die antiken Ausmaße erreicht, wenn nicht gar überboten.
Johann Heinrich Füssli, Der Künstler verzweifelnd angesichts der Größe der antiken Trümmer, 1778-1780, Kunsthaus Zürich
Feinheiten solcher Art können einem natürlich unmöglich lediglich aufgrund von Musenküssen zufliegen – auch wenn, wie Sie so zutreffend sagen, die Inspiration innerhalb einer Millisekunde kommt und das genuine Kunstwerk etwas ganz anderes als eine akademische Übung ist. Eine solide akademische Ausbildung hat bestimmt noch keinem Künstler geschadet, wie sich nicht zuletzt auch an Ihrem Œuvre erweist – wähend der auf Ihrer homepage erwähnten Zeit an der American Academy of Fine Arts in New York, wo Sie sich der surrealistischen Malerei hingaben, haben Sie zweifellos nicht nur zu technischer, sondern wohl mehr noch zu künstlerischer Reife gefunden. Ein wenig mehr wüßten wir freilich gerne über diese recht verschwiegene Institution, die wir uns nur als eine altehrwürdige und distinguierte vorstellen können, von unüberbietbarer Diskretion, die so weit geht, daß nicht einmal das Internet, das wir zu diesem Zweck konsultierten, etwas über eine Kunstschule dieses Namens weiß – um die American Academy for the Fine Arts, ehemals in New York ansässig, wird es sich ja kaum handeln können, existierte diese doch lediglich von 1802 bis 1841.
Von solch übermäßiger Zurückhaltung haben Sie sich freilich zu emanzipieren gewußt – die Öffentlichkeit weiß es Ihnen zu danken, daß Sie sie suchen, und es darf keinesfalls unbemerkt bleiben, wie elegant es Ihnen gelingt, ein faszinierendes Vexierspiel zu betreiben und eben diese interessierte Öffentlichkeit im Ungewissen zu lassen, ob Sie nun ein Künstler sind oder ob Sie einen spielen – ob Ihre Kunst also eine bildende oder Ihr Künstlertum nicht etwa ein mimetisches ist – die Schauspielkunst liegt Ihnen ja nicht weniger als die Bildhauerei sozusagen im Blut und wurde Ihnen in die Wiege gelegt. Welch ein glücklicher Umstand, daß wir dadurch auf Sie aufmerksam werden durften, daß durch organisatorische Umstände Ihre Arbeit während ihrer Endphase in unsere unmittelbare Nähe verschlagen wurde – zu denken, daß wir sie sonst, wenn überhaupt, vielleicht nur mit einem Schulterzucken registriert hätten! So aber bot sie uns nicht zuletzt ausgesprochen attraktive Motive für unsere photographischen Unternehmungen.
Mit Dank und herzlichen Grüßen!