›Brücken der Freundschaft‹ gibt es eine beachtliche Anzahl, und man fragt sich, wie groß der Anteil an Euphemismus sein mag, der in den einzelnen Fällen dem Bauwerk zur Namensgebung verhalf, und man mag sich auch fragen, ob das Verbindende, das einer Brücke ja grundsätzlich eignet, nicht schon den Kern des Freundlichen, ja Freundschaftlichen in sich birgt und sich eine ›Freundschaftsbrücke‹ somit als ein Pleonasmus erweisen würde. Denn wer hätte ob solch hochgestimmter Brückenmetapher je auf eine Benennung wie etwa ›Brücke der Zwietracht‹ verfallen können?
Nicht lange ist es her, daß wir unter einer solchen ›Brücke der Freundschaft‹ hindurchfuhren, und um der Vollständigkeit der Erfahrung einige Tage später auch noch darüber, jenes mit der INO, dieses im Taxi. Es ist hier die Rede von der Brücke, die zwischen Giurgiu und Ruse, dem uns als Rustschuk besser bekannten Geburtsort Canettis, die Donau überspannt und auf hunderte von Kilometern die einzige Straßenverbindung zwischen Rumänien und Bulgarien herstellt.
Nun – von Freundschaft oder Freundlichkeit war beim Überqueren der Mostăt na družbata und dem Überschreiten der Grenze nicht allzu viel zu spüren – doch liegt Freundlichkeit ja eh nicht in der Natur von Grenzbeamten und Zöllnern. Das Freundschaftlich-Verbindende der Brücke mußte so in den Hintergrund treten gegenüber dem Trennenden der Grenze, und es ist das Ärgernis eines Grenzübertritts, der rein garnichts vom Befreienden einer Grenzüberschreitung hat, das die Wahrnehmung bestimmt.
Das Verkehrsaufkommen war bescheiden, einige wenige Lkw, eine Handvoll Personenwagen – Fußgängern ist die Freundschaftsbrücke versperrt –, doch sorgte die ans Schikanöse grenzende Langsamkeit der Abfertigung für zunehmenden Unmut – um so mehr, als es sich hier um eine Grenze zwischen zwei Mitgliedern der Europäischen Union handelt, um eine europäische Binnengrenze somit.
Allzu weit her scheint es also allem Anschein nach mit der Freundschaft nicht zu sein. Und es ist auch der Name ›Brücke der Freundschaft‹ schon seit langem in Vergessenheit geraten und nur noch von der ›Donaubrücke‹ die Rede – nüchterner Realismus hat das sozialistische Pathos ersetzt und dem völkerverbindenden Euphemismus das eh nicht allzu hell erstrahlende Licht ausgeblasen.
Der Bau der Brücke, deren Vorgeschichte bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht, als Rumänien und Bulgarien begannen, sich als Nationen zu verstehen und zu stilisieren und aus dem osmanischen Herrschaftsbereich zu lösen, wurde schließlich zu Beginn der Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts beherzt in Angriff genommen, als nämlich Yugoslawien sich daran machte, sich vom Ostblock abzuwenden, was zu erheblichen Spannungen und Unsicherheiten führte und die Türkei veranlaßte, auf einen alternativen Verkehrskorridor durch Bulgarien und Rumänien zu drängen. Der ›Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe‹ nahm sich, unter der Führung der UdSSR, der Sache an, und, geplant von russischen Ingenieuren und mit Einsatz sowjetischer Technik, wurde das sozialistische Vorzeigeprojekt unter Beteiligung mehrerer Bruderstaaten energisch vorangetrieben. Begleitet von spektakulären Übererfüllungen des Plansolls – 30 Prozent im ersten Jahr, 50 gar in den beiden folgenden – wurde die Brücke im Juni 1954 eröffnet, sieben Monate vor dem vorgesehenen Termin, und dies trotz erheblicher Behinderung durch Hochwasser und Eisgang. Auch sollen, wie es heißt, die Kosten signifikant unterschritten worden sein.
Ausführlich gerühmt wurden die Leistungen der Ingenieure – wobei es sich freilich zwar um ein Bauwerk von beachtlichen Ausmaßen handelt, doch nicht eben um ein Meisterstück in konstruktiver Eleganz; ästhetisch hat das Fachwerk nicht allzu viel zu bieten, und auch der stalinistische Dekor, Werk des ukrainischen Bildhauers Mihajlo Paraščuk (1878-1963), vermag der Sache nicht richtig auf die Sprünge zu helfen.
Über den Namen war in der Sowjetunion befunden worden, wo ›Völkerfreundschaft‹ wenig anderes als die unangefochtene Dominanz Moskaus zu bedeuten hatte. Mit der zunehmenden Infragestellung dieser Hegemonie unter Ceaușescu verlor solch forcierte Harmonie an Bedeutung, alte Ressentiments zeigten sich erneut, und die Rhetorik der sozialistischen Brüder- und Bruderschaft wich einer anderen, die auf die altbewährten Mittel von Mißtrauen und Abgrenzung setzte.
Im neuen Jahrtausend habe sich, so heißt es, die Lage freilich wieder geändert – nach dem Beitritt beider Staaten zur Nato (2004) und ihrer Aufnahme in die Europäische Union (2007) sei das Verhältnis erneut ein freundschaftliches – in der Öffentlichkeit gelegentlich recht rüde ausgetragene Differenzen beträfen allenfalls das Verhältnis zu Rußland, das von den Bulgaren traditionell als Befreier, von den Rumänen jedoch als Bedrohung verstanden würde.
Die ›Brücke der Freundschaft‹ war indes nicht die erste zwischen Giurgiu und Ruse. Am 28. Februar 1941 rückten hier deutsche Verbände über die längste Pontonbrücke der Militärgeschichte nach Bulgarien ein, das sich wenige Tage zuvor ohne große Begeisterung auf die Seite der Achsenmächte geschlagen hatte, um von dort aus die Besetzung Griechenlands in Angriff zu nehmen. Unter die Akte der Freundschaft wird dieser Brückenschlag nicht zu rechnen sein.
In den Schatten gestellt werden diese Unternehmungen jedoch von der Brücke, die Trajan zwischen 103 und 105 ein Stück weiter flußaufwärts, bei Drobeta Turnu Severin, über die Donau schlagen ließ und die mit ihrer Länge von 1135m für mehr als ein Jahrtausend die längste Brücke der Welt bleiben sollte. Sie verdankt sich des Kaisers großangelegtem Feldzug gegen die Daker, diente der logistischen Unterstützung der römischen Truppen und wird sich somit ebensowenig unter dem Vorzeichen der Freundschaft und der Völkerverständigung verbuchen lassen.