CAPITAN BRAGADIN

Die Capitan Bragadin – das klingt, obwohl korrekt, ein wenig befremdlich; sagen wir also der Capitan Bragadin – ist ein ausgedienter Vaporetto, wenig jünger nur als die INO und liegt unweit von ihr auf der Giudecca, im Cantiere Navale Toffolo, einer der wenigen noch übriggebliebenen von den einstmals zahlreichen venezianischen Werften. Der Capitan ist längst ausgemustert, seiner Maschine beraubt nebst allem anderen, das ihn einst zur Seefahrt tauglich machte. So ausgeweidet und eine bloße Hülle nur, diente er während zweier Lustren als Architekturbüro, was man ihm von innen ansieht und auch von außen, wo er mit seinem Zuviel an organischen Rundungen einen insgesamt etwas unorganischen Eindruck macht – eine architektonische Schiffsmetapher, ins Nautische zurückprojiziert, wie eine Rocaille in einem Ozeandampfer. Augenblicks wird er aufgefrischt und soll Kunst- und Kulturzwecken dienstbar gemacht werden; es sei, wenn wir es richtig verstanden haben, geplant, von ihm aus in der ganzen Lagune events zu organisieren, zu welchem Zweck er jeweils an die entsprechenden Orte geschleppt werden soll. Das Projekt läuft unter dem Namen Il Vaporetto dell’Immaginario.

Der Name, den das Boots selbst führt, Capitan Bragadin, weist auf Marcantonio Bragadin, den letzten venezianischen Generalgouverneur von Zypern. (Zypern war 1489 von seiner Königin, der Venezianerin Caterina Cornaro, an die serenissima abgetreten worden.) Bragadin war 1569 auf diesen Posten berufen worden, als die Insel bereits massiv von den Osmanen bedroht wurde. Als ein Jaher später die Invasion erfolgte und nach zweimonatiger Belagerung Nikosia fiel, gelang es ihm, die Festung Famagusta noch fast ein Jahr gegen eine enorme Übermacht zu halten, weitgehend auf sich alleine gestellt, da Venedig sich nicht entschließen konnte, ihm die benötigte Verstärkung zu schicken. Als Famagusta am 31. Juli 1571 fiel, sicherte der osmanische Oberbefehlshaber Lala Kara Mustafa Pascha der venezianischen Besatzung freies Geleit zu, ließ jedoch bei der Übergabe der Schlüssel Bragadins Gefolge meucheln, ihn selbst gefangennehmen und foltern, nachdem ihm zuvor Nase und Ohren abgeschnitten worden waren und nach zwei Wochen, während denen er sich geweigert hatte, zum Islam überzutreten, öffentlich schinden und anschließend vierteilen. Seine Haut wurde mit Heu ausgestopft und, auf einen Ochsen gesetzt, im Triumphzug durch Famagusta geführt. Der Fall Zyperns führte dazu, daß auf Betreiben von Pius V. die Republik Venedig und das Königreich Spanien die Heilige Liga von 1571 bildeten und unter der Führung von Don Juan d’Austria der osmanischern Flotte nur wenige Monate später, am 7. Oktober, in der Seeschlacht von Lepanto eine vernichtende Niederlage zufügten – ein glorreicher Sieg des christlichen Abendlands, der allerdings weitgehend ohne Folgen bleiben sollte.

 

1580 gelang es der serenissima, gegen eine hohe Summe Bragdins Haut zu erwerben, um sie in Zanipolo in einem prächtigen Grabmal zu bestatten.
Durchaus denkbar ist es, daß Bragadins grausames Schicksal seinen Niederschlag in Tizians Schindung des Marsyas fand, um 1574 gemalt und heute im böhmischen Kremsier (Kroměříž) aufbewahrt.