Idyllisches und weniger Idyllisches aus Montenegro

Die Fahrt durch die Bucht von Kotor, ital. le bocche di Cattaro, die gelegentlich als südlichster Fjord Europas bezeichnet wird (Slartibartfast?!) – geologisch inkorrekt indes, verdankt sie ihre Entstehung nicht einem Gletscher, sondern bildete sich aus einem Flußtal –, ist zweifelsohne eine der spektakuläreren Partien einer ja an Spektakulärem nicht armen Reise entlang der adriatischen Küsten. An die dreißig Kilometer ist sie lang, besteht aus vier weiten Becken, die durch enge Durchlässe verbunden und von bis zu 1000 Meter hohen Bergzügen umstanden sind. Am Ende der letzten dieser Buchten liegt Kotor, einer der sichersten Häfen der Adria und dazu strategisch höchst günstig gelegen. Er war die Basis für die U-Boote der österreichisch-ungarische Marine; auch andere ihrer Flotteneinheiten lagen hier während des Ersten Weltkriegs, veraltetes Material und Gerät zumeist, das nie zum Einsatz kam und wo es schließlich wegen der immer unerträglicher werdenden Zustände, angeregt durch die Februarrevolution in Russland ein Jahr zuvor, im Februar 1918 zu einer großen, doch rasch niedergeschlagenen Revolte kam, der Friedrich Wolf 1930 das Theaterstück ›Die Matrosen von Cattaro‹ widmete.

Die postkartentauglichste Ansicht der Bucht resp. des falschen Fjords bietet zweifellos die Klosterinsel Sveti Đorđe (St. Georg), erkennbar das Modell zu Böcklins Toteninsel, nebst der in unmittelbarer Nachbarschaft künstlich aufgeschütteten Friedhofsinsel Gospa od Škrpjela (Madonna dello Scarpello, Maria vom Felsen). So weit, so gut und schön, und so weltkultur- und naturerbetauglich, seit 1979, dem Jahr des großen Erdbebens, das auch hier einiges an Schäden mit sich brachte. Weshalb denn die Bucht auch gleich, noch im selben Jahr, auf die rote Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt wurde, aus Sorge um die Qualität der Wiederaufbaumaßnahmen. 2003 fand dann schließlich die Beseitigung und Bereinigung der Schäden die Billigung der UNESCO, und es stehen die bocche di Cattaro seither wieder unangefochten auf der so tourismusfördernden Liste – ohne Welterbeplakette kein Kreuzfahrtschiff.

Wobei man sich fragt, mit welcher Blindheit diese Organisation der Vereinten Nationen geschlagen ist, die sich die Förderung von Bildung und Kultur auf ihre blaue Fahne geschrieben hat. Denn ein Einschreiten wäre dringend nötig gewesen angesischts dessen, das sich in den letzten 15 Jahren an den Ufern breitgemacht hat – eine Zersiedelung von beeindruckendem Ausmaß, ein goldgräberartiger Wildwuchs, der um so erstaunlicher ist, als seine Folgen ja andernorts, an der italienischen Adriaküste etwa, seit langem deutlich sichtbar sind und die Erkenntnis seiner Fragwürdigkeit, ja Verwerflichkeit sich längst ihren Weg ins öffentliche Bewußtsein gebahnt hatte. Ein Interesse an solch ordnungs- und strukturlosem Bauwahn, der eigentlich eine Zerstörungswut ist, können ausschließlich Investoren haben, die nichts an den Ort bindet als die Absicht der Profitmaximierung, die keine Tradition, keine Geschichte und keine kulturellen Zusammenhänge, ja keinerlei Kultur kennen als eine des kurzfristigen Gewinns – die verbrannte Erde hinter sich lassen wie der Mongolensturm, der Kotor 1442 in Schutt und Asche gelegt hatte.

Keine Wohnungsnot wird mit diesen Bauten gelindert (was man allenfalls noch als Rechtfertigung durchgehen lassen könnte, wenn auch als eine fragwürdige) – keiner braucht solche gestaltlosen Mißgeburten, um darin zu wohnen, sie werden ausschließlich deshalb gebaut, weil sie sich verkaufen lassen, vielleicht auch, weil es für die Errichtung von Ferienwohnungen Fördermittel gibt (die Wege etwa der Weltbank sind stellenweise unerforschlich) – und weil die Korruption das ihrige dazutut. Von jedem nicht der individuellen Gewinnsucht verpflichteten Standpunkt aus betrachtet ist diese enthemmte Bauerei also sinnlos, ja widersinnig. Was durch sie zerstört wird, ist gewaltig und kaum zu bemessen. Après nous le déluge! scheint die Devise zu sein, der hier gefolgt wird – und fast wünschte man sich eine Sintflut, den ganzen Unrat einfach wegzuspülen.

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