In der Albertina. Eine Wiener Schmähung

Klaus Albrecht Schröder, seit 1999 Direktor der Albertina, gab nicht nur einst in öffentlicher Rede von sich, der Hemmschuh seines Hauses seien dessen Bestände von mehr als einer Million graphischer Blätter – eine doch sehr bemerkenswerte Aussage für den Leiter der wohl bedeutendsten aller Graphischen Sammlungen –, er steht auch wie kein anderer für einen signifikanten, ja tatsächlich revolutionären Wandel des Verständnisses vom Original, oder genauer: einer kopernikanischen Wende im Verhältnis von Original und Reproduktion. Dies hat, wie könnte es anders sein, zumindest mittelbar mit der Digitaslisierung und der mit ihr verbundenen Ausweitung der Manipulationsmöglichkeiten der Bilder zu tun. Grundsätzlich, so denkt man sich, habe es das Ziel der Reproduktion zu sein, dem Original so nahe zu kommen, wie die technischen Möglichkeiten es erlauben. Der Einspruch, daß hier, bedingt durch die Technik, unweigerlich ästhetische Entscheidungen getroffen werden müssen, ist nicht von der Hand zu weisen, doch geht es uns nicht um das Ergebnis, sondern um Absicht und Legitimation.
Nun hat aber die Reproduktion längst nicht mehr die größtmögliche Nähe zum Original zum Ziel, sondern die optimierende Manipulation des Abgebildeten zum Zweck der Erhöhung seiner Attraktivität – es ist die Mentalität der Werbeagenturen, die sich, wie überall, auch hier eingenistet und festgefressen hat. Weniges ist einfacher zu bewerkstelligen: Die Farbsättigung etwas erhöht, die Balance geringfügig ins Blaue verschoben, die Tonwerte korrigiert, die Tiefen leicht aufgehellt, und gleich entspricht das Abgebildete viel mehr dem, was wir gerne sehen wollen, als dem, das es zu sehen gibt. Für denjenigen, der das Kunstwerk über seine mediale Repräsentation kennengelernt hat (also in aller Regel auf einem Bildschirm), muß die Begegnung mit ihm selbst eine Enttäuschung sein.
Dem will ganz offensichtlich Professor Doktor Schröder, Herr über die von ihm so wenig geschätzten graphischen Blätter, entschlossen entgegenwirken. Der in der Zwischenzeit allgemein verbreitete Einsatz einer gnaden- und erbarmungslosen Kunstlichttechnik stößt bei Arbeiten auf Papier rasch an seine Grenzen, und so wählte er für eine große Schiele-Ausstellung vor einigen Jahren einen anderen, viel radikaleren Weg, über dessen epochale Bedeutung er sich möglicherweise selbst nicht im Klaren war. Er ließ nämlich, wie uns von einem der Konservatoren seiner Anstalt berichtet wurde, eine Reihe von Aquarellen Schieles (übrigens unter Umgehung der Ausfuhrbestimmungen, was uns hier aber nicht interessieren soll) in die Schweiz verbringen, wo er sie, ungeachtet der Proteste seiner Konservatoren und Restauratoren, einem neuentwickelten und kaum erprobten Verfahren unterziehen ließ, mit dem Ziel, die altersbedingt unvermeidbare Verbräunung des Papiers rückgängig zu machen, sodaß die Farben, die von dem Prozeß angeblich in keiner Weise beeinträchtigt werden, in eindrucksvoller Frische auf dem nunmehr ungetrübten Weiß stehen – gut möglich, daß selbst der Künstler sie nie so leuchten sah. Was also die technischen Mittel der Reproduktion erlauben und nahelegen, findet hier seinen Weg ins Original. Und was wir nicht ohne Verblüffung konstatieren, ist eine revolutionäre Umkehr der Verhältnisse, wird doch nunmehr das Original selbst so verändert, daß es der zum Zweck der Erhöhung der Attraktivität und zum bequemen Angleichen an die Sehgewohnheiten manipulierten Reproduktion so nahe wie möglich kommt.
Der Verdienst an dieser historischen Großtat (die ihre Vorläufer in althergebrachten Strategien der Restaurierung und der Fälschung hat, aber in ihrer ganzen Prägnanz und Bedeutung erstmalig hier zu strahlender Entfaltung gelangte) sollte nicht in der Anonymität verhallen. Denn wenn auch Goethe sagt, die Tat sei alles, nichts der Ruhm, so wäre es dennoch im Sinne der Gerechtigkeit ein schöner Zug, derartige Unternehmungen in Zukunft unter ›Schrödern‹ oder ›Schröderei‹ zusammenzufassen und im Bewußtsein des großen Publikums zu verankern.