Unser treuer Baedecker, ›Dalmatien und die Adria‹, Leipzig 1928, der verläßlich benennt, was es noch gibt und der ebenso verläßlich aufzeigt, was alles verschwunden ist, empfiehlt beim Besuch der Insel Hvar einen Nachmittagsausflug im Segelboot zur »von üppigstem Pflanzenwuchs umrahmten Bucht Palmisana auf der Nordseite der Insel Sv. Klement (San Clemente), mit dem Sandstrand Vinogradišće«, wozu allerdings zuvor die Erlaubnis des Besitzers, Prof. Eugen Meneghello in Hvar einzuholen sei.
Eugen Meneghello, Botaniker und Mathematiker, begann 1906, noch unter österreichischer Herrschaft also, die Insel zu einem botanischen Garten auszugestalten. Ob sie, wie behauptet wird, schon seit Jahrhunderten im Besitz seiner Familie gewesen war, sei dahingestellt – Tatsache ist, daß er hier eine Art Klein-Mexiko schaffen wollte, ein europäisches Neu-Mexiko in Gestalt eines botanischen Exilkongresses mesoamerikanischer Pflanzen. Welchen Umständen es zu verdanken ist, daß sein Werk nicht nur die Wirren des Zweiten Weltkriegs, sondern auch die Repressalien des Tito-Kommunismus überstand und selbst den Übergang in den ausufernden touristischen Kapitalismus bewältigte, böte den perfekten Stoff für eine breit angelegte Familiensaga. Heute jedenfalls ist Palmišana ein Familienunternehmen mit Marina, Hotel und Restaurants, und das Garn des Gründungsmythos vom leidenschaftlichen Botaniker und seinen unbeugsamen Nachfahren wird gern und wirkungsvoll gesponnen. Der Garten selbst gerät dabei freilich ein wenig in Vergessenheit – sich selbst überlassen, wildert er wenig glücklich vor sich hin, die Flüsse von Energie und Mitteln scheinen nicht in seine Pflege und Erhaltung gelenkt zu werden.
Viereinhalb Wegstunden nordöstlich von Ragusa, heute Dubrovnik, findet sich eines der ältesten Arboreten der Welt, wenn nicht gar das älteste, der Garten der ragusaner Adelsfamilie Bassegli-Gozze, der seit 1492 bezeugt ist. Die Umgebung Ragusas ist voll von solchen Kleinodien, Villen und Gärten von byzantinischer Pracht, angetan, den Neid selbst Venedigs zu wecken.
Das Arboretum zu erreichen ist ein wenig mühsam; nur selten und ohne erkennbaren Fahrplan verkehrt ein Bus von Dubrovnik nach Trsteno (früher Cannosa), und wenn man dort ist, findet man wenig mehr als einen kleinen aufgegebenen Hafen vor, dessen langsam zerfallende Häuser ein freundlicheres Schicksal verdient hätten und aus dessen spektakulärer Lage am Meer sich bestimmt einiges würde entwickeln lassen – was ihm aber vielleicht am Ende noch weniger bekommen würde als das Anheimfallen an die Vergessenheit. Der Baedecker bezeichnet das Dorf selbst als unbedeutend, erwähnt aber die Sehenswürdigkeit zweier Morgenländischer oder Riesenplatanen, platanus orientalis, Teil der Anlage von Villa und Arboretum, mit einem Kronendurchmesser von jeweils 60 und einem Stammumfang von 13 Metern. Die beiden vermochten seit mehr als einem halben Jahrtausend allen Fährnissen zu trotzen, überstanden das Erdbeben von 1667, den Beschuß und die Bombardierung des Parks durch die Jugoslawische Volksarmee 1991, die beträchtliche Zerstörungen an Pflanzen und Gebäuden verursachten, sowie den verheerenden Brand im Jahr 2000, dem zwei Drittel der Anlage anheimfielen. Zwar seien, so heißt es, die Schäden in den Folgejahren beseitigt worden, doch läßt sich mit diesen Worten ja auch eine Rodung euphemistisch umschreiben. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg im Besitz der Grafen Bassegli-Gozze und von diesen während fünf Jahrhunderten gepflegt und gehegt, wurde der Garten 1948 enteignet und zwei Jahre später in die Obhut der Kroatischen Akademie der Wissenschaften übergeben. Daß er Anfang der Sechzigerjahre unter Denkmalschutz gestellt wurde, zeigt immerhin, daß seine Bedeutung gewürdigt und seine Erhaltung auch in Zeiten des jugoslawischen Kommunismus sichergestellt wurde. Heute gibt auch er, nach halbherzigen Anstrengungen, die Schäden der letzten Jahrzehnte zu beseitigen, ein Bild arger Vernachlässigung. Was jedoch, bedenkt man all die unsäglichen Bemühungen, vergleichbare Institutionen in eine nur mit Zähneknirschen zu goutierende Zeitgnossenschaft zu überführen, sprich also sie im Hinblick auf wen auch immer zu ›popularisieren‹, wohl noch das kleinere Übel ist.
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