2.: Zur Perspektive
Es ist also schon der Raum selbst, der hier den Gegenstand der Perspektive anschlägt – ein Thema, das sich durch ein merkwürdiges Oszillieren auszeichnet zwischen dem, was der Begriff unmittelbar als Teil der geometrischen Optik bezeichnet und seiner Verwendung als Metapher der Welterkenntnis und Weltaneignung. Die Entdeckung oder auch Erfindung der Zentralperspektive läßt sich, wenn auch nicht ohne Vorbehalt, durchaus als den Gründungsakt der Neuzeit auffassen. Der Nachweis, daß das Sehen, also die Wahrnehmung, genauen geometrischen Gesetzen folgt, somit eins ist mit der intelligiblen Erkenntnis, muß ein grandioser Befreiungsschlag gewesen sein.
Diese Betonung einer Aufspaltung der Perspektive in einen geometrisch-optischen und einen metaphorischen Aspekt geht freilich an der Sache vorbei, denn es bleibt stets die Abbildbarkeit des einen auf das andere, beziehungsweise die Identifizierbarkeit des einen mit dem anderen im Zentrum des Spiels, und sei es als barocker rhetorischer Kunstgriff. Bei Pozzos denkwürdiger Decke in Sant’ Ignazio, die sich als groteskes Chaos darbietet, bis schließlich von dem einen und einzigen Standpunkt, auf den hin die ganze Komposition berechnet ist, alles Wirre sich zum Wohlgeordneten zusammenschließt, soll, so ist anzunehmen, genau dies gezeigt werden: Fast wie eine Vorwegnahme von Nietzsches radikalem Perspektivismus scheint es, wenn hier die Welt von einem einzigen Standpunkt aus – oder auf einen einzigen Standpunkt hin – konstruiert wird.
In diesem rhetorischem Konstrukt ist die Voraussetzung der Erkenntnis also die Fähigkeit oder Bereitschaft, den rechten Standpunkt einzunehmen. Was somit in Hinblick auf die Wirksamkeit der räumlichen Illusion betrachtet mit einer in mancher Hinsicht irritierenden Unzulänglichkeit behaftet ist – ist die grandiose Raumerweiterung doch nur von kurzer Dauer und vermag sie es nicht, den Raum insgesamt zu bestimmen, wie später etwa bei Tiepolos Decken –, wäre dann genau das von Pozzo intendierte, nämlich eben die Unmöglichkeit, die luzide und grandiose Klarheit der Ordnung anders zu erkennen, als von dem einen und einzig tauglichen Standpunkt aus. Das Ziel dieser kaum anders als im allgemeinen Kontext der barocken Rhetorik aufzufassenden Operation dürfte nicht zuletzt in einer Analogiebildung zu sehen sein: Das Wirre, grotesk Deformierte, in der Dissoziation der Zusammenhänge Unverständliche, das die Decke von Sant’ Ignazio mit der schwindelmachenden Unlesbarkeit der Welt gemein hat, vermag sich in wohlgefügte Ordnung und Sinnfälligkeit aufzulösen; daß solches mit den Mitteln der Repräsenzation gelingen kann, gestattet den Rückschluß, daß auch die unlesbare Welt selbst, zu der ja das Bild an sich grundsätzlich in einem repräsentierenden Verhältnis stehen muß, in ihrer vollkommenen Ordnung, die ihr als dem Werk Gottes notwendig eignet, irgendwie erkennbar sein muß: Was hier beschworen wird, ist ein Bildpotential, das über das Vorhandensein eines Standpunkts hinaus, von dem aus die Ordnung sich erschließt, nichts weniger als die Existenz der Ordnung selbst manifestiert – eine Position, die recht genau die Kosmologie des Barock zum Ausdruck bringt.
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