»…lines traveling out to infinite points…«
Beobachtungen zur Perspektive im Werk von Walter De Maria
Ein Essay in zehn Lieferungen
6.: Lightning Field und Mile-Long Parallel Walls in the Desert
Er radikalisiert hier die Position, die vielleicht am pointiertesten im Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck gebracht ist, wo der Gipfel der Kunst in der scheinbaren Ununterscheidbarkeit von der Natur liegt, indem er deren mimetischen Ansatz verwirft und gewissermaßen den Knoten der manieristischen Spiegelfechterei zerhaut. Wollte man indes die Analogien zur europäischen Gartenkunst weiter verfolgen, so käme man nicht umhin, den klassischen französischen Garten des 17. Jahrhunderts mit seiner absoluten Geometrie und radikalen Perspektive heranzuziehen. Das Lightning Field operiert mit genau diesen beiden Mitteln, wobei die Absicht jedoch keinesfalls die ist, sich die Landschaft durch Geometrisierung und Perspektivierung untertan zu machen; ganz im Gegenteil besteht hier der künstlerische Eingriff darin, daß Elemente in die Landschaft gesetzt werden, die ganz unabhängig von ihr von absoluter Geometrie und radikaler Perspektive bestimmt sind und die, wie es ja auch beim Broken Kilometer festzustellen war, im Akt und Augenblick der Betrachtung das Kunstwerk entstehen lassen, in einem Zusammenspiel mit der Landschaft, das man weder als konfrontierend noch als ergänzend beschreiben kann.
Man muß sich die Dramaturgie eines Besuch so vorstellen – die Zeichnung Desert walk – Walls in the desert enthält alle notwendigen Angaben: Der Besucher, in der Zeichnung mit ›1st person‹ bezeichnet, gelangt mit dem Auto in die Nähe der Installation und begibt sich auf einem geraden Pfad, der in einem Winkel von etwas weniger als 90° zu den Mauern verläuft, zu Fuß zum Eingang. Was er so von außen in seiner ganzen Ausdehnung überblicken kann, eine einzige Wand nämlich, wird ihm zunächst lediglich als fremdes, befremdliches geometrisches, lineares Element in der Landschaft erscheinen, das indes auf seinem Weg zunehmend perspektivische Eigenschaften annimmt, eine Zentralperspektive, die im Verlauf der Annäherung prononcierter und steiler wird. Vor dem Eingang, erstmalig in der Achse der Anlage stehend und des tatsächlich räumlichen Aspekts in der Verdopplung der Wand und der Möglichkeit des Betretens und Durchschreitens gewahr, wird er den Eindruck einer geometrischen, ›architektonischen‹ Perspektive gewinnen, die sich mit der ganz anders gearteten der Landschaft, in die sie fremd gesetzt ist, als diametraler Gegensatz nur schwer in Übereinstimmung bringen lassen will. Betritt er nun die Anlage selbst, befindet er sich also zwischen den Mauern, ist die Landschaft verborgen – dem Blick entzogen, jedoch nun vielleicht gerade in dieser Verborgenheit von gesteigerter Präsenz. — In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß das Unsichtbare im Werk von Walter De Maria eine gewichtige Rolle spielt; erwähnt seien hier nur, neben den verschiedenen Serien der Invisible Drawings, die Skulpturen Ball Drop und Column with a Ball on Top von 1961 (zu letzterer der Künstler: »I have built a box eight feet high. On the top place a small gold ball. Of course no one will be able to see the ball sitting way up there on the box. I will just know it is there.«), der allmählich erblindende Spiegel des Silver Portrait of Dorian Gray, 1965, das unausgeführte Projekt eines 400 Fuß tiefen, von einer dicken Metallplatte abgedeckten Lochs von 9 Fuß Durchmesser für die Olympischen Spiele 1972 in München, der Vertical Earth Kilometer in Kassel, 1977, – sie alle zielen auf das Wissen um die physische Präsenz des Unsichtbaren, das das Kunstwerk erst jenseits aller sinnlichen Wahrnehmbarkeit im Bewußtsein entstehen läßt und so eine eigenartige, gesteigerte, durchaus weit ins Sinnliche greifende Präzision schafft. Hier ist auch daran zu denken, daß das Lightning Field während des größten Teils des Tages tatsächlich unsichtbar bleibt – und daß die Werke aus auf Hochglanz poliertem Aluminium und Edelstahl keine eigene Sichtbarkeit besitzen, sondern aus dem, was sie von der Umgebung spiegeln, ihre optische Präsenz beziehen. The whole notion of invisibility, sagt Walter De Maria 1972 im Interview, has become more and more important to me, und im Text zum Lightning Field heißt es kurz und bündig: The invisible is real.