8.: Balls & Spheres
In dieser Hinsicht lassen sich die Kugeln also als eine Fort- und Weiterführung der ›unsichtbaren‹ Arbeiten verstehen – nicht, daß sie selbst unsichtbar wären, sondern indem ein oszillierendes Unsichtbares, Verborgenes in ihrem Fokus und Zentrum stünde. Der Titel der ersten Arbeit in Naoshima, Seen/Unseen, Known/Unknown, läßt sich wohl nicht zuletzt als ein Hinweis in diese Richtung auffassen. Die Unendlichkeit findet sich eingeschlossen in der Doppelung des Fluchtpunkts, der im Wechselspiel der Spiegelung gleichzeitig sowohl vor als auch hinter dem Betrachter liegt – und eben auch immer genau im Spiegelbild seines Auges, das keinen anderen als einen radialen Blick zuläßt und so unweigerlich das Zentrum besetzt. Wie bei den Walls in the Desert und beim Broken Kilometer lassen also auch die Kugeln im Moment der Betrachtung einen exklusiven Raum entstehen – ein perspektivisches Drama, ist man geneigt zu sagen, das sich hier in der Betrachtung eines vollständig in sich ruhenden, in perfekter Konsistenz verharrenden Objekts ereignet.
Kugeln erscheinen früh im Werk von Walter De Maria, und zwar in recht prominenter Weise. Sie sind zunächst aus Holz, handlich und beweglich, Werkzeuge für Aktionen, die den Rezipienten des Kunstwerks zum Akteur werden lassen und ihn damit in einen exklusiven Bezug zum Kunstwerk setzen, das ja erst mit und in der Aktion tatsächlich entsteht und besteht. Teilnahme ist etwas, das Walter De Maria grundsätzlich für das Verhältnis des Betrachters zum Kunstwerk fordert. Die Strategien des happening, wo das Kunstwerk sich jenseits aller auf Kommunikation gerichteten Strategien gewissermaßen ereignet und wie sie in den verschiedensten Ausprägungen sein Werk durchziehen, wären so als radikale Zuspitzung der die Beziehung zu jeglichem Kunstwerk grundsätzlich bestimmenden Teilnahme und Teilhabe zu verstehen.
Einen bemerkenswerten Auftritt als Protagonist hat die Kugel in einer 1961 entstandenen, wenig bekannten Arbeit, die sich beim Tod des Künstlers in seinem Atelier fand, einem unerwarteten Ausflug in die Welt des Comic und der Pop Art, die einen vielleicht ironischen, auf jeden Fall humoristischen Zug zu verraten scheint und die sich wie eine programmatische Brücke zwischen Arbeiten wie den Boxes for Meaningless Work und den gleichzeitig erste konkrete Formen annehmenden Werken im Umfeld der Land Art ausnimmt: The Adventures of Mr. Ball, by Walt De Maria. In einem horizontal gelagerten Kasten durchläuft hier eine hölzerne Kugel auf schräger Bahn verschiedene im Arrangement und im Stil eines fünfteiligen comic strip auf Vorder- und rückwärtige Innenseite gemalte Landschaftsszenarien. Letztere sind durch die schrägen Schlitze sichtbar, in denen sich auch Mr. Ball in den verschiedenen Episoden seiner Abenteuer zeigt – Mr. Ball in the Mountans, Mr. Ball in the Jungle, Mr. Ball in the Desert, Mr. Ball at the Ocean –, bis er dann schließlich wieder in seinem Heim anlangt, im ersten Feld in einem kleinen quadratischen Fenster, Mr. Ball’s house.
Auf Hochglanz polierte Kugeln aus Aluminium erscheinen ab Mitte der 60er Jahre in zahlreichen Arbeiten, noch immer in handlichem Format und nach wie vor als ein Werkzeug der Kunstausübung in Fortführung der Strategien des happening: Die Kugeln gilt es, in Bahnen von u-förmigem Querschnitt, ebenfalls aus poliertem Aluminium und mit großer Präzision gefertigt, zu bewegen, die unterschiedliche geometrische Figuren bilden, etwa eine kurze Strecke (Instrument for La Monte Young), ein Kreuz (Cross), einen Davidstern (Star) oder eine Swastika (Museum Piece, alle 1966) und ab den frühen 70er Jahren mehrere Serien regelmäßiger Polygone (Triangle, Circle, Square, 1972; 5-9, 1972/73 etc.). Eine Verwandtschaft zu den Walls in the Desert ist offensichtlich: So verlaufen die Wege der Kugeln in engen, von Wänden begrenzten Kanälen, und die Perspektive und ihre Wahrnehmung sind auch hier von entscheidender Bedeutung in dem, dessen man auf den polierten Oberflächen gewahr wird, dem komplexen, mehrfach gebrochenen sphärischen Spiegelbild auf den sich bewegenden Kugeln, das diese selbst, die Bahn, den Raum und den Betrachter wiedergibt. — 1972 von Paul Cummings nach der Bedeutung der Kugeln befragt, reagiert der Künstler unwirsch und verweigert die Antwort.