Die späten Kugeln sind allesamt Schwergewichte (die Large Red Sphere in München wiegt mehr als 25 Tonnen), und sie besitzen alleine schon ob ihrer Masse eine enorme physische Präsenz – fast ist man vor ihnen versucht, Hans Henny Jahnns in seiner ›Theorie der Gewölbe‹ festgehaltenen Überzeugung recht zu geben, nach der die Masse unmittelbar wahrnehmbar sei, mittels eines verborgenen Sinnesorgans. Die Kugeln sind nun statische Gebilde geworden und ruhen auf Sockeln – wobei der Gedanke an eine potentielle Bewegung als eine der Möglichkeiten, das Kunstwerk in der Betrachtung zu denken, den Betrachter zu verunsichern und den Künstler einmal mehr als high priest of danger auszuweisen vermag. Doch sind, bei aller beunruhigenden Labilität, die Kugeln fest im geometrischen Raumgerüst verankert, oder besser: es ist der Raum, in dem sie sich befinden, fest um sie gefügt, denn sie sind es, die als paradoxe Raumgeneratoren nicht nur die Räume, sondern tatsächlich den Raum um sich ordnen, zentrieren und fokussieren. Eine klarere und pointiertere Bestimmung des Orts als einer zentralen Frage der Bildhauerei dürfte sich schwerlich finden lassen, und auch seine schwierige Beziehung zum umgebenden Raum und darüberhinaus zum Raum an sich findet sich hier auf die exemplarische Weise auf den Punkt gebracht, die dem Kunstwerk vorbehalten ist.
Sind ›Ort‹ und ›Raum‹ in diesem Kontext als abstrakte Begriffe zu verstehen, so sind es ihre konkreten Erscheinungsformen, die für die Wahrnehmung zuständig sind. Insbesondere die Large Red Sphere in München und ihre Beziehung zum sie beherbergenden Gehäuse sind hier von Interesse. Das sogenannte ›Türkentor‹, der heute als kubischer Solitär einzig noch stehende ehemalige Eingang zur Türkenkaserne, beherbergt einen mit etwa 8 Metern Breite, 9 Metern Länge und 8 Metern Höhe annähernd würfelförmigen Raum, dem nach Westen zu, also in Richtung der Alten Pinakothek, unlängst ein schmaler, knapp zwei Meter tiefer Vorraum angelagert wurde. In den Hauptraum eingestellt ist ein Geviert von ca. dreieinhalb Meter hohen simplifizierten dorischen Säulen, darauf ein Rost von dicken, grob behauenen Balken, einstmals verputzt, wie die zahlreichen aus ihnen herausstehenden Nägel erkennen lassen. Die Decke, die sie ehedem trugen, ist verschwunden, sodaß Säulen und Gebälk nun als ein zweckloses orthognales Gestell die Struktur des Raums bestimmen. Diese zeigt so ihre enge Verwandtschaft mit der des Raums im arsenale, den der Künstler als so geeignet für Apollo’s Ecstasy gehalten hatte: Es ist die Struktur der Räume der Frührenaissance, auf ein funktionsloses Skelett reduziert, und es sind in diesem Zusammenhang vor allem diejenigen Brunelleschis, zu dessen ›strukturalistischer‹ Raumkonzeption eine unverkennbare Nähe besteht. Beide Räume sind vorgefunden, doch sind sie eben auch gefunden, Fundstücke, die einen bedeutenden Anteil am Kunstwerk in dessen unweigerlich raumbezogener Wahrnehmung haben. Ginge man zu weit, sie mit der Landschaft in Bezug zu setzen, die beim Lightning Field nach der Aussage des Künstlers Teil des Kunstwerks ist? Mag auch nur unter Vorbehalt dem umgebenden Bau ein derart bedeutender Anteil am Kunstwerk zuzugestehen sein, so ist doch daran zu denken, daß der konkrete Raum der Architektur ja stets auch, und vor allem in seiner Konfrontation mit der Skulptur, als Repräsentant oder Konkretisierung des Raums an sich aufzufassen ist.
War beim Raum im arsenale eine Nähe zu den Longitudinalbauten der frühen Renaissance, insbesondere zu San Lorenzo und Santo Spirito auszumachen, so kommt einem vor diesem Hintergrund beim Zentralraum des Türkentors die Pazzi-Kapelle in den Sinn. Nicht freilich, daß hieraus notwendig auf einen programmatischen Bezug zu schließen wäre, doch ist es immerhin bemerkenswert, daß Arbeiten, bei denen allem Anschein nach explizit der Perspektive, und hier ganz konkret der Zentralperspektive, eine so bedeutende Rolle zukommt, auf Räume bezogen sind, deren Struktur eine offensichtliche Nähe zu den Bauten des Erfinders oder Entdeckers eben der Zentralperspektive aufweist – zu Bauten also, deren räumliche Ordnung sich ganz unmittelbar den Überlegungen zum zentralperspektivischen Raum verdankt. Diese Bauten verdienen hier einen zweiten, genaueren Blick.