Pula, oder von den Segnungen der Industrie

Einen Ort zu finden, der nicht ausschließlich vom Tourismus lebt, oder der nicht gänzlich dem Tourismus geopfert wurde, oder der sein Überleben nicht ausschließlich dem Tourismus verdankt, dürfte an der kroatischen Adriaküste nicht einfach sein. Die Sinnentstellung der Städte, die der enthemmte Tourismus nach sich zieht, ihre Degradierung zum voyeuristischen Objekt, die Entfremdung, die im Gefolge der spätkapitalistischen Erfolgsgeschichte unabdingbar scheint, erfüllen mit einem Gemisch aus Wut und Wehmut, das nicht notwendigerweise sentimental sein muß.

Denn noch mehr als das Bild des Intakten, also mehr als die gemütvolle Postkartenansicht des Hafens mit Schaluppen und ausgespannten Fischernetzen, wünscht man sich wohl eine Übereinstimmung der ästhetischen Struktur der Stadt mit ihrer ökonomischen Funktionsfähigkeit. Zwar würde auch dann eine gewisse Melancholie ob der Diskrepanz zwischen dem, was aus den Relikten spricht, dem Stolz, von dem die Fassaden künden, der praktischen Vernunft, von der die Anlagen zeugen, der selbstverständlichen Schönheit, die sich allenthalben zeigt und der Nutzlosigkeit, zu der dies alles nun verdammt ist, nicht weggewischt werden können, doch wäre hierin vielleicht wenig anderes als das Wirken des Engels der Geschichte zu erkennen, der immer auch sagen will, daß die Dinge und Verhältnisse einmal anders waren und daß sie andere hätten geworden sein können, als sie nun sind.

Vielleicht ist es die Verknüpfung von Stagnation und Anpassung, die jenseits des ästhetischen Mißfallens (oder als dessen eigentlicher Grund) für das Unbehagen verantwortlich ist: Die Orte sind einerseits aufgeputzte Leichen, in ein pathologisches historizistisches Bild eingefroren, andererseits in die exhibitionistische Aktualität eines Erlebnisparks transponiert, unter Preisgabe jeglicher urbaner Autonomie.

Anders Pula, die Hauptstadt Istriens, deren maßstabssprengende Werften die außerordentlichen Denkmäler, wegen derer die Stadt auf keiner touristischen Agenda fehlen darf, auf eine beruhigende Weise auzubalancieren vermögen. Daß nun das Archäologische Museum wegen Umbauarbeiten auf unbestimmte Zeit geschlossen ist, das Istrische Museum, dessen volkskundliche Sammlung unser alter Baedecker rühmt, nicht existiert, der Dom nicht zugänglich war, die Erkundung der Stadt sich also in mancher Hinsicht als eine Folge von Hemdgängen erwies, ist, nicht nur angesichts der in die Stadt verwobenen römischen Denkmäler – Amphitheater, Augustustempel, Stadttore –, deren Autonomie sich um den Betrachter nicht schert, sondern auch wegen der stets präsenten Schwerindustrie, die sich um den Betrachter genausowenig kümmert und keinen Zweifel an der Zeitgenossenschaft läßt, von zu vernachlässigender Bedeutung.
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