SELTSAM

die Bibliothek der Zukunft habe man sich, war vor einiger Zeit in der FAZ zu lesen – da Bibliotheken, wie wir sie zu kennen vermeinen, offenbar keine Zukunft mehr haben – vor allem als eine Begegnungsstätte zu denken (worunter man sich wohl so etwas wie einen Seniorentreff vorzustellen hat, nur eben für ein erweitertes Publikum, oder, will man es etwas jugendfrischer, einen Jahrmarkt). Auch das Museum der Zukunft soll eine andere Gestalt und Funktion haben, als dasjenige, das uns vetraut ist: Mehr als dem Beherbergen von Kunstwerken soll es der Begegnung der Menschen dienen (der Entwurf des Büros Herzog & De Meuron für das Berliner Kulturforum, der sich mehr noch als von außen in seinem Inneren am Vorbild der shopping mall orientiert, könnte eindeutiger kaum sein). Seltsam eigentlich. Das Feld des Öffentlichen und der Begegnung hat sich ja in den letzten Jahrzehnten, verstärkt in den letzten Jahren, verlagert, hat sich von seinen physischen Orten und damit vielleicht auch von sich selbst emanzipiert, bedarf und bedient sich des Orts nur noch als Metapher – Sennetts These vom Verfall und Ende des öffentlichen Lebens wird kaum zu widerlegen sein, so sehr wir uns dies auch wünschen mögen.

Vor diesem Hintergrund des Niedergangs des öffentlichen Raum als wohl unabdingbare Folge des Verfalls des öffentlichen Lebens entbehrt es vielleicht nicht einer absurden Konsequenz, wenn Institutionen wie Museum oder Bibliothek (um nur diese beiden zu nennen), die ja öffentliche Räume in sehr spezifischen und differenzierten Ausprägungen sind und die genau in dieser Spezifizierung das öffentliche Leben in der ihm eigenen Vielfalt konstituierten und vielleicht noch immer konstituieren, nun dieser Diversität entkleidet werden sollen, um, bar ihrer spezifischen Nutzung und Funktion, als hauptamtliche ›Begegnungsstätten‹ ein unartikuliertes, kaum mehr scharf zu umreißendes Dasein zu fristen, das den angestammten Sinn dann noch als verblassende Erinnerung und als altertümelnden Dekor im Namen führt, wie Packhöfe und Judengassen.
Freilich waren Bibliothek und Museum als explizite Räume des Öffentlichen von jeher auch Orte der Begegnung – aber sie waren es eben auch, und sie waren es auf eine selbstverständliche Weise, gewissermaßen als Beifang zu den ihnen eigenen und eigentümlichen primären Funktionen. Wenn sich nun der Schwerpunkt verschiebt und die Funktion zuvörderst in der Herstellung von Öffentlichkeit besteht, eines öffentlichen Raumes, der vielleicht selbst schon zu einem viel grundlegenderen Anachronismus geworden ist als die Institutionen, die es angeblich zukunftsfest zu machen gilt, dann wird nicht nur die Zerstörung genau dessen betrieben, was vom öffentlichen Ort noch übrig ist und was es unbedingt zu erhalten gilt, sondern auch die Zerstörung dessen, das durch diese Transformation vorgeblich geschützt werden soll.
Und es ist abschließend daran zu erinnern, daß es den öffentlichen Ort auch jenseits von Rummelplatz und Jahrmarkt gibt – oder zumindest einmal gab.