Schärfer, prononcierter könnte eine Trennlinie nicht sein, als die Donau zwischen Serbien und Rumänien – als schiede sie zwei Kontinente, zwei Welten. Wechselt man vom östlichen, rumänischen Ufer hinüber zum serbischen westlichen, so erscheint die kurze Strecke der Stromquerung fast wie ein wässriger Läuterungsweg, der einen aus dem Labyrinth der Trostlosigkeit, der Agonie und des allumfassenden Verfalls führt – womit der dantesken Anklänge allerdings auch schon genug sein muß, denn ein Paradies ist Serbien wahrlich nicht. Es soll hier jedoch nicht die Rede sein von den finsteren Zügen und Geschehnissen der jüngeren Geschichte, auch nicht von den unverkennbaren Manifestationen eines institutionalisierten Chauvinismus (keiner der zahlreichen Hinweise auf historische Gegebenheiten, mit denen sich der Reisende konfrontiert sieht, der nicht einen nationalistischen Heroismus und die Fiktion eines Großserbien beschwörte), auch nicht vom widerwärtigen serbischen Ultranationalismus, der einen schaudern macht und allem gegenüber mißtrauisch – gehandelt sei hier lediglich von der nächstliegenden der vielen hintereinander geschichteten und sich durchdringenden Oberflächen, als die die Welt sich präsentiert, der der unmittelbaren Wahrnehmung.
Die erste Station in Serbien ist ein kleiner Ort mit Namen Veliko Gradiste, 44° 46’ N, 21° 31’ O, Donaukilometer 1059. Im Hafen herrscht reger Betrieb, rund um die Uhr machen hier die Donaufrachter fest, um ihre Grenzübergangsformalitäten zu erledigen. Kommt man aus der rumänischen Verkommenheit, dann erscheint einem hier alles über die Maßen sauber, ordentlich, ja herausgeputzt – hinter der Kaimauer empfängt einen eine wohlunterhaltene Grünanlage, die Wegeränder mit unzähligen sorgfältig geschnittenen Rosenstöcken bestanden; ein Café lädt am Ufer zum Verweilen ein, das erste einer ganzen Reihe, die die freundliche Hauptstraße mit ihren zwei Baumreihen säumen. Schilder weisen auf das hier gelegene Narodni Muzej, das Nationalmuseum, das so klein ist, daß man es unweigerlich übersieht und dessen bescheidene Ausstellung kaum den einzigen Raum füllt und das sich redliche Mühe gibt, seine Exponate in ein freundliche Licht zu rücken – ein hübscher Ort für die Liebhaber der Provinz. Auch hier alles auffällig sauber. So ordentlich ist der Ort gehalten, daß er einen beinahe die Lawinen von Müll vergessen macht, die sich allerorten in die Donau ergießen, sowohl vom rumänischen als vom serbischen Ufer – sie scheinen die prominenteste flußübergreifende Gemeinsamkeit der beiden sonst so grundverschiedenen Seiten zu sein. Denn ist Rumänien von Lethargie wie imprägniert und will einem dort buchstäblich alles unter dem Blick zerfallen, sodaß man sich beinahe fürchten möchte, ohne Sonnenbrille herumzulaufen, so bietet Serbien keinesfalls ein Bild von Trost- und Hoffnungslosigkeit, ganz im Gegenteil. Nicht freilich, daß es in Serbien boomte – tatsächlich ist die wirtschaftliche Lage desolat, und wie am anderen Ufer sind viele gezwungen, sich ins Ausland zu verdingen, was hier aber mit weit größeren Schwierigkeiten verbunden ist, als in Rumänien, wo die seit 2013 gewährte Freizügigkeit die Grenzen zur Europäischen Union öffnete – mit katastrophalen Folgen für das Land, denn wer immer Energie und Ambition oder eine gute Ausbildung besitzt, machte sich auf in den goldenen Westen, also genau diejenigen, von denen die dringend notwendigen Impulse für den Aufbau des Landes ausgehen müßten und die auch den anderen eine Perspektive geben könnten. Was jetzt noch hier ist, sind die, die wenig zu hoffen haben. Freilich kann keinem, der hier das Weite sucht, ein Vorwurf gemacht werden, sind doch die Bedingungen denkbar ungünstig – die langen Jahrzehnte des real existierenden Sozialismus mit seiner wenig effizienten Planwirtschaft, die den Einzelnen nicht Anlaß zu verantwortlichem Handeln bot, sondern sein Streben darauf richtete, für nichts zur Verantwortung gezogen werden zu können, sind kein Nährboden, auf dem jenseits der Korruption Initiativen gedeihen können. Und die Korruption scheint, nach allem, was man hört, eines der wenigen Dinge zu sein, die im Lande blühen. Freilich schneidet Rumänien, glaubt man dem von Transparency International jährlich herausgegebenen Corruption Perception Index, mit 53 von 100 möglichen Punkten besser ab als Serbien, das es auf 61 bringt (zum Vergleich: Dänemark 12, Deutschland 20, USA 29, Somalia 90). Auch beim Durchschnittseinkommen steht Rumänien mit knapp 9000 Euro p.a. signifikant besser da als Serbien, das es auf gerade einmal die Hälfte bringt – eine Relation, die sich nur geringfügig abgemildert auch im Kaufkraftindex widerspiegelt. So stellen sich also die Umstände an rumänischen Ufer signifikant besser dar als als auf der anderen Seite, und man konstatiert überrascht und irritiert, daß Zahlen und Augenschein sich nicht zur Deckung bringen lassen, ja sich eklatant widersprechen.