Tizians Verunklärung

Wenige Sujets dürfte die Kunstgeschichte kennen, die die Maler mehr dazu herausgefordert hätten, das Licht selbst zum Gegenstand ihrer Kunst zu machen, als die Transfiguration, die Verklärung Christi. Der zugrundeliegende Text ist in drei Evangelien überliefert:

Lk 9: 28VND es begab sich nach diesen Reden bey acht tagen / das er zu sich nam / Petrum / Johannem vnd Jacobum / vnd gieng auff einen Berg zu beten. 29Vnd da er betet / ward die gestalt seines Angesichts anders / vnd sein Kleid ward weis vnd glentzet. 30Vnd sihe / zween Menner redeten mit jm / welche waren Moses vnd Elias.
Mk 9: 2VND nach sechs tagen / nam Jhesus zu sich Petrum / Jacobum vnd Johannem / vnd füret sie auff einen hohen Berg besonders alleine / vnd verkleret sich fur jnen. 3Vnd seine Kleider wurden helle vnd seer weis / wie der Schnee / das sie kein Ferber auff erden kan so weis machen. 4Vnd es erschein jnen Elias mit Mose / vnd hatten eine rede mit Jhesu.
Mt 17: 1VND nach sechs tagen / nam Jhesus zu sich Petrum vnd Jacobum vnd Johannem seinen Bruder / vnd füret sie beiseits auff einen hohen Berg / 2vnd ward verkleret fur jnen. Vnd sein Angesichte leuchtet wie die Sonne / vnd seine Kleider wurden weis als ein Liecht.  3Vnd sihe / da erschienen jnen Moses vnd Elias / die redten mit jm.
Tizian schuf seine Transfiguration für den Hauptaltar von San Salvador hier in Venedig, und es dürfte wenige Gemälde geben, die über eine sorgfältigere und effektvollere Lichtregie verfügen. Seine späte Verkündigung, ebenfalls für San Salvador gemalt, greift das Motiv der Lichterscheinung auf, deutet sie um und ist wohl als Gegenstück zur Verklärung aufzufassen – Gottes Stimme aus der Wolke, die am Ende des Geschehens auf dem Berg die Sohnschaft Christi verkündet, ist eine unübersehbare Parallele zur Verkündigung der Mutterschaft Mariens. Diese Parallelführung spannt das Feld einer höchst komplexen Bedeutungsvielfalt auf, und es ist ein Glücksfall, daß die beiden Kunstwerke sich in ihrer ursprünglichen Konstellation erhalten haben und an ihrem angestammten Ort zu sehen sind.

 

Für die Besichtigung wähle man einen hellen Tag – die Lichtverhältnisse in der Kirche sind so beschaffen, daß die Werke gut bei Tageslicht gesehen werden können, der einzigen ihnen angemessenen Art der Beleuchtung – Kunstlicht, auch wenn es manches deutlicher zu machen scheint, wird der Subtilität von Tizians reduzierter Palette nicht gerecht. Besonders die Verklärung kann hier ihre geballte Wirkung entfalten, und man fragt sich als Betrachter schon von weitem verwundert, wie es dem Maler wohl möglich gewesen sein mag, den Eindruck eines derart strahlenden, tatsächlich aus sich selbst heraus leuchtenden Weiß hinzubekommen – welcher malerischen Mittel er sich hier bediente. Denn es scheint, als sei das Licht der Verklärung nicht sinnbildlich dargestellt oder mimetisch nachempfunden, sondern wundersam verwirklicht. Gleichzeitig jedoch beginnt der Keim eines leisen Unbehagens seine ersten Würzelchen zu schlagen, wie dies bei derartig auf den Effekt angelegten Arbeiten der Fall zu sein pflegt, wenn der Pulverdampf anfänglicher Überwältigung zu verrauchen beginnt. Was mag Tizian angetrieben haben, die Konsistenz und Ausgewogenheit, durch die seine Werke sich sonst auszeichnen, zugunsten der schlußendlich etwas banalen Demonstration eines malerischen Taschenspielertricks preiszugeben und uns etwas vor Augen zu stellen, das wir im Zuge der Betrachtung als doch ein wenig das Ordinäre streifend zu erkennen nicht umhin können? — Nun, unsere Wertschätzung des Meisters wird nicht allzulange auf die Probe gestellt, unser nahezu grenzenloses Vertrauen in seine Fähigkeiten nicht erschüttert. Sobald wir nämlich dem kleinen, silbern schimmernden Objekt im Zentrum der Mensa keinen sakralen Sinn und Zweck mehr unterstellen, sondern in ihm einen Scheinwerfer erkennen, löst sich das Rätsel: Ein wohlmeinender Priester, Mesner oder sonst Zuständiger sah sich veranlaßt, unserer Wahrnehmung und dem alten Tizian ein wenig auf die Sprünge zu helfen und alles etwas deutlicher zu machen. Wobei er seine Sache so geschickt anging, daß nur die hellen Partien im Zentrum zusätzliches Licht erhalten und somit den Eindruck erwecken, es habe sich der Meister hier mit Fluoreszenzfarbe beholfen. Im Licht heller Tage ist der Ursprung dieses Effekts indes so gut wie nicht auszumachen, und es könnte auch wirklich so sein, wie es aussieht, man ist dann bloß irritiert ob der Verunklärung. Abends jedoch, wenn das Licht in der Kirche nachläßt, wird die Beleuchtungsidiotie unverkennbar und man ist sogleich verstimmt: Christus im überhellen Lichtfleck schwimmt nun in einem undifferenzierten dunklen Geschlinge. Schwer zu entscheiden, über welche Erscheinungsform einer solchen Gemeinheit man sich mehr empören soll, die ganz offensichtliche Barbarei der Abendstunde oder die deprimierende Entfremdung des hellen Mittags.
 
Nachtrag. Ob es ein Zufall ist? Insbesondere die Werke Tizians scheinen von denjenigen, die mit Blindheit oder Ignoranz geschlagen sind oder die ihrem Haß auf die Kunstwerke freien Lauf lassen wollen, also Beleuchtungsfachleuten, Lichtdesignern, Kuratoren, Konservatoren, Museumsdirektoren oder sonstigen Zuständigen als Einladung oder Herausforderung für ihr Zerstörungswerk genommen zu werden. Man gehe etwa in Wien ins Kunsthistorische Museum, aus dem unlängst alles Tageslicht verbannt und durch eine bestenfalls als erbärmlich zu bezeichnende künstliche Beleuchtung mit LEDs ersetzt wurde und vergleiche das, was einem nun von Tizians Leinwänden so farblos, fremd und bedeutungslos käsig entgegenblickt mit dem, was man von besseren Zeiten her in Erinnerung hat. Die Berliner Gemäldegalerie, auch nicht gerade zimperlich und zweifellos nicht in den besten Händen, zieht gerade nach. Auch anderes leidet, doch Tizians Kunst, offensichtlich fragiler, findet sich zur Unkenntlichkeit verunklärt und in die Abgründe der Unverständlichkeit gestoßen. An die Wasser der Spree will man sich setzen und weinen, wenn man der gemarterten Werke gedenkt und der barbarischen Akte, die von denen ausgehen, deren Sache ihre Hege und Pflege ist.
[fb]