Warum reisen? — Wenn jeglicher Unmittelbarkeit eine medialisierte Erfahrung, jeglichem spontanen Erleben ein medialisiertes voranging, wenn also jedes Unmittelbare zum déja-vu geworden ist und an eine Medienkonserve erinnert – wozu dann noch reisen? Man reist, so will es die Tradition, aus Neugierde, um fremde Länder und Menschen aufzusuchen, oder man tut es, um etwas zu entdecken, etwas herauszufinden oder etwas zu lernen. (Selbstverständlich reist man auch in Geschäften, was uns hier aber nicht interessiert, genausowenig wie diejenigen, die reisen, um sich einen Mordsrausch samt zugehörigem Sonnenbrand einzufangen.)
Daß das Reisen bilde, wird sich kaum noch mit Fug und Recht behaupten lassen. Denn hierfür wäre eine zumindest rudimentäre Vor-Bildung die Voraussetzung, und das Vorhandensein einer solchen würde im Verhalten des Reisenden zum Ausdruck kommen: Aus der Art und Weise seiner Betrachtung spräche Neugierde, aus seiner Haltung und seinem Benehmen dem Betrachteten gegenüber Respekt. Von Solchem kann aber nur noch in Ausnahmefällen die Rede sein. Zwar sind vielleicht solche Reisenden, die zumindest ihren alten Baedecker, vielleicht gar die gleichfalls roten Bände des Touring Club Italiano oder den Dehio in der Tasche haben, nicht einmal weniger geworden, doch spielen sie unter den drei Millionen, die jedes Jahr mit dem Flugzeug in Dubrovnik einfallen, verstärkt von einer knappen Million, die von den großen Kreuzfahrschiffen noch zusätzlich ausgespuckt werden, keinerlei Rolle mehr.
Der überwiegende Teil der Reisenden – die Bezeichnung ›Touristen‹ ist sicherlich angemessener – läßt überhaupt nur ein Interesse erkennen, nämlich das am eigenen Bild. Dies ist nicht mehr das selbstgemachte, das der (inzwischen vollständig ausgestorbenen) Postkarte möglichst entsprechen sollte – man erinnert sich noch gut der Zeiten, als das Photographieren die Stelle der Betrachtung vertrat und der Blick an die Kamera delegiert wurde – sondern es ist die Strategie eine andere und neue. Worum es geht, ist die Bestätigung, am Ort anwesend gewesen zu sein, und es dürfte vielleicht nicht einmal in erster Linie darum gehen, dies anderen kundzutun, sondern darauf abzielen, es sich selbst gegenüber zu versichern – wozu dann auch die Strategien der Veröffentlichung ein Entscheidendes beitragen.
Im Grunde genommen ist dies nur konsequent. Das Reisen, das die Neugier nicht mehr zuläßt, das aus einer allumfassenden Medialisierung heraus geboren und betrieben wird, und das in dieser Form nur noch innerhalb einer solchen Medialisierung denkbar ist und in der kein Neues seinen Platz mehr haben kann, das also nichts als eine Aneinanderreihumg von déja-vus ist, kann Ziel und Zweck nur noch in der medialisierten Form des selfie finden. Dubrovnik – nicht Ragusa – ist hierfür geeignet wie kaum ein anderer Ort auf dieser Welt: zum einen als Ballung attraktivster touristischer settings, zum anderen in einer kaum zu überbietenden bestens etablierten Popularität, denn es besitzt die Stadt dank ihrer mehrfachen Verwendung als Kulisse höchst erfolgreicher Filmproduktionen eine gesteigerte, gewissermaßen mythologisierte medial aufgeladene Realität. So vermag man sich im selfie in der Dokumentation des Hiergewesenseins seines Daseins zu versichern, indem man sich in ein Bild bannt, das einem bereits zuvor vertraut war. Die Ebene, auf der all dies geschieht, die des medialisierten Bildes, wird hierfür nicht verlassen.
Hier wäre, als nutzlose Warnung, das traurige Beispiel des Narziß zu erzählen, der letztlich am eigenen Bilde zugrundeging.
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