Von den Schlössern der Zigeuner

Modell für den Palast des ehemaligen Kaisers der russischen Zigeuner in Hermannstadt (Sibiu). Photographie von Carlo Gianferro aus: Renata Calzi und Patrizio Corno, Gypsy Architecture, Stuttgart/London (Edition Axel Menges) 2007.

Ob wohl die Zigeuner eine ähnlich romantische Vorstellung von festen Häusern haben mögen wie wir Seßhaften vom freien und kühnen Nomadenleben? — Die Wirklichkeit des fahrenden Volks sieht freilich wenig romantisch aus, wie wir wissen, und die trostlose Wirklichkeit der erzwungenen Seßhaftigkeit dürfte die Zigeuner zumindest in Rumänien rasch von jeglicher Romantik geheilt haben, sollte je die Gefahr einer solchen bestanden haben (für Goethe war sie ja von Anbeginn an eine Krankheit).

Der Palast des ehemaligen Kaisers der russischen Zigeuner in Hermannstadt (Sibiu)

Freilich muß ein archaisches Bild vom festen Haus als Hort und Zeichen von Pracht und Herrlichkeit tief verwurzelt in die Vorstellung von Seßhaftigkeit sein – ein verschwenderisch aufgeputzter Traum, dessen lugubre Attribute freilich aus dem löcherigen Überwurf pompösen Gepränges allerorten ans Licht drängen. Denn was die Paläste der seßhaft – ob freiwillig oder gezwungen – und reich gewordenen Zigeuner nicht verbergen können, ist die triste Folie des Elends und der Verachtung, vor der ihre Bauten grell abstechen, in einer Formensprache, die den Fahrgeschäften der Jahrmärkte entliehen scheint. Und wie diese dekorierten Buden sind sie Zeichen, und es kommt uns der Verdacht auf, daß sie sich mit dieser Zeichenhaftigkeit begnügen, sich in ihr erschöpfen, daß alles andere, das ein Haus ausmacht und das es zum Wohnen bestimmt und tauglich macht, hinter dem Zeichen zurücksteht, das das Haus ist. In diesem Sinn haben wir es mit einer radikalen Architektur zu tun, die ihresgleichen sucht, einer Architektur der Metapher und der Repräsentation und eine denkwürdig paraphrasierende Anwendung der polemischen Formel der Apologeten des Funktionalismus, nach der Architektur Funktion mal Ökonomie sei. Denn die Funktion, der sich diese Bauten verdanken, ist einzig die des Zeichens, und hieraus folgt nicht ohne Konsequenz eine Ökonomie der Verschwendung – die sich beileibe nicht auf den Prunk des äußeren und inneren decorum beschränkt, denn die stark eingeschränkte Funktionsfähigkeit der Zigeunerschlösser in Hinsicht auf die praktischen Bedürfnisse des Wohnens – bei vielen soll etwa auf sanitäre Einrichtungen verzichtet worden sein, und dies beileibe nicht aus Gründen der Bedürftigkeit – läßt sie insgesamt zu Zeichen der Verschwendung werden und als weitgehend auf zeremonielle Handlungen beschränkte Orte zu Tempeln der abundantia. — So wären diese Häuser also im Grunde eine paradoxe Verweigerung der Seßhaftigkeit.