Wider den Witz getrommelt und gepfiffen

In den vergangenen Tagen konnte man sich des Eindrucks kaum erwehren, es zeichne sich, nach einer Reihe von mehr oder minder erfolgreichen Kampagnen (der Erfolg derjenigen gegen das Rauchen und die Raucher setzte hier die Maßstäbe, und so hört man allenthalben allerhand hahnebüchenen Unfug, wie etwa, daß das Sitzen das neue Rauchen sei) eine neue ab, nämlich gegen den Witz – fast synchron war zu hören, hier sei nun aber doch wirklich eine Grenze überschritten, und man habe bestimmte Arten von Witzen zurecht endgültig satt, und speziell der Erzählende könne sich in seiner Position einen solchen Witz auf keinen Fall leisten. All dies bei denkbar harmlosen Anlässen – aufregen können hätte man sich allenfalls über die Dürftigkeit der Pointen und die mangelnde Schärfe – über das Defizit an Witz im Witz also. Und tatsächlich stand, so haben wir es im Gedächtnis – bedauerlicherweise läßt sich nicht mehr eruieren, wer hier wo schrieb –, im Kommentar einer der großen Tageszeitungen zu lesen, es sei, da des Witzes Wesen grundsätzlich auf Diskriminerung abziele, auf eine bessere, unserem nunmehr erreichten Zivilisationsstand entsprechende witzfreie und witzlose Zeit zu hoffen – der Witz, so stand zu lesen, meinen wir uns zu erinnern, sei das neue Rauchen. — Wir enthalten uns eines Kommentars und setzen an seine Stelle Kleists »Anekdote aus dem letzten Kriege«:
 

Den ungeheuersten Witz, der vielleicht, so lange die Erde steht, über Menschenlippen gekommen ist, hat, im Lauf des letztverflossenen Krieges, ein Tambour gemacht; ein Tambour meines Wissens von dem damaligen Regiment von Puttkamer; ein Mensch, zu dem, wie man gleich hören wird, weder die griechische noch römische Geschichte ein Gegenstück liefert. Dieser hatte, nach Zersprengung der preußischen Armee bei Jena, ein Gewehr aufgetrieben, mit welchem er, auf seine eigne Hand, den Krieg fortsetzte; dergestalt, daß da er, auf der Landstraße, alles, was ihm an Franzosen in den Schuß kam, niederstreckte und ausplünderte, er von einem Haufen französischer Gensdarmen, die ihn aufspürten, ergriffen, nach der Stadt geschleppt, und, wie es ihm zukam, verurteilt ward, erschossen zu werden. Als er den Platz, wo die Exekution vor sich gehen sollte, betreten hatte, und wohl sah, daß alles, was er zu seiner Rechtfertigung vorbrachte, vergebens war, bat er sich von dem Obristen, der das Detaschement kommandierte, eine Gnade aus; und da der Obrist, inzwischen die Offiziere, die ihn umringten, in gespannter Erwartung zusammentraten, ihn fragte: was er wolle? zog er sich die Hosen ab und sprach: sie möchten ihn in den … schießen, damit das F.. kein L… bekäme. – Wobei man noch die Shakespearesche Eigenschaft bemerken muß, daß der Tambour mit seinem Witz, aus seiner Sphäre als Trommelschläger nicht herausging.