DER UMBAU DES HISTORISCHEN VAPORETTO NR. 20, BAUJAHR 1905

Als ich vor einigen Jahren in Venedig das Treiben des öffentlichen Nahverkehrs mit seiner Vielfalt von Booten betrachtete und vor den prächtigen Fassaden des Canal Grande die vaporetti (›Dämpfchen‹) vorbeiziehen sah, kam mir in den Sinn, daß es schön sein müßte, mit einem solchen Boot von Venedig nach Berlin zu reisen. Es dürfte, dachte ich, nicht allzu schwierig sein, an ein ausrangiertes Exemplar zu kommen und dies dann mit vertretbarem Aufwand für die Fahrt auszurüsten. Die Hürden erwiesen sich jedoch bald als höher denn erwartet: Die ACTV (Azienda del Consorzio Trasporti Veneziano, der hiesige Nahverkehrsver­bund, über den so manches zu sagen wäre) läßt die außer Dienst gestellten vaporetti umgehend zerlegen und verschrotten, weil er, wie man hört, befürchtet, es könne ihm Kon­kurrenz in der Lagune erwachsen. Nur einige wenige befinden sich in privater Hand, und selbst Luigi Brugnaro, der Bürgermeister von Venedig, der sich für unser Anliegen einsetzte (und über den so manches zu sagen wäre), vermochte hier nichts.

Nachdem wir lange vergeblich gesucht hatten (und schon mit der Alternative des Kaufs einer Raketa liebäugelten) wurde schließlich im Mai 2016 ein vaporetto zum Verkauf angeboten, wie sich herausstellte das älteste noch existierende, 1905 in der Werft Vianello-Moro als erstes in Venedig gebautes vom Stapel gelaufen und von der ACNI (Azienda Comunale per la Navigazione Interna, der Vorgängerin der ACTV) in Betrieb genommen. Während 61 Jahren tat es als vaporetto #20 treu seine Dienste im Nahverkehr, wurde schließlich am 29. August 1966 ausgemustert, verkauft und bis zur Unkenntlichkeit umgebaut, um unter dem Namen ›Max‹ Touristen zu transportieren. Auch von einem Intermezzo als Fischereiboot wird berichtet.

Max

Auf einem Schrottplatz schien schließlich sein Ende gekommen, doch wurde es dort entdeckt und erkannt, schließlich mit Hilfe von Gilberto Penzo, dem unangefochtenen Fachmann für venezianische Wasserfahrzeuge, restauriert und am 11. Oktober 2012 unter dem Namen ›1905‹ wieder zu Wasser gelassen.

Nach Erwerb des Bootes galt es, die bereits bestehende Planung für den Umbau eines vaporetto vom Typ 80, also eines viel späteren und auch größeren Modells, an die vorhandenen Gegebenheiten der ›1905‹ anzupassen. Nicht die originalgetreue Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, also mit Holzaufbauten, Segeltuchdach und Dampfmaschine, war das Ziel, sondern die Ermöglichung der langen anspruchsvollen Fahrt nach Berlin und eine spätere Nutzung auch als Hausboot.

Am 4. Juni 2016 wurde die ›1905‹ von Aprilia Marittima in der Lagune von Marano nach Porto Marghera, in den Industriehafen Venedigs auf dem Festland, überführt und wenig später aus dem Wasser gehoben. Ich selbst bezog Anfang Oktober 2016 ein provisorisches Quartier auf der dortigen Werft, um sowohl die Detailplanung durchzuführen als auch den Umbau in Angriff zu nehmen.

Die Schilderung des von nun an immer ausufernderen Gangs der Arbeiten an der Verwandlung der ›1905‹ zur INO könnte nun im gemächlichen Tonfall des Erlebnisaufsatzes weitergesponnen werden. Dieses Exerzitium will ich dir, lieber Leser, und mir ersparen und mich auf Stichwortartiges beschränken – es wird auch so noch ausgedehnt genug sein. Also:
Demontage der technischen Einrichtungen einschließlich der Verkabelungen und Leitungen.
Ausführliche Ultraschalluntersuchung des Rumpfs mit dem Ergebnis, daß einige Partien stark verrostet sind und deshalb ausgetauscht werden müssen.
Ausbau von Ruder und Antriebswelle; letztere erweist sich als verzogen und nicht mehr brauchbar.
Die Ruderlager sind ausgerieben und müssen erneuert werden.
Eine genauere Betrachtung des Motors läßt es angeraten erscheinen, diesen auszutauschen: Der alte Achtzylinder macht einen wenig verläßlichen Eindruck, auch ist er sehr laut und sein Verbrauch gegenüber einem neuen Motor unverhältnismäßig hoch.

Die bestehende Einteilung und Einrichtung der Aufbauten erweist sich als für die Fahrt durch Europa und das Wohnen auf dem vaporetto ungeeignet: Mangelhafte Übersicht für den Kapitän beim Manövrieren im Hafen, Schlafmöglichkeiten nur unter Deck, ohne Licht und Luft und über der offenen Antriebswelle, keine Sicht aus der Kabine nach vorne &c.

Plan zum umbau zur „1905“, ca. 2010

Neuplanung: Verlängerung der Hauptkabine nach vorne und Einbeziehung des Führerstands; Schaffung einer zentralen Sichtachse, was die Anordnung der achtern vorgesehenen Bereiche – Koje, Dusche, WC, Schränke und Küche – entlang der Außenwände mit sich bringt. Austausch der textilen Bespannung des Vorderdecks durch eine Metallkonstruktion mit umlaufender Rinne.

INO

Arbeiten am Rumpf: Austausch zu dünner Bleche, außerdem einer Anzahl von Spanten. Einsetzen der Rohre für Bug- und Heckstrahlruder.

Abbau und anschließendes Zerlegen der vorderen Kabine (Führerstand und Bad/WC).
Ausbau des Motors.
Entfernen der Stützen und Unterzüge in der Hauptkabine, denen eine ausschließlich dekorative Funktion unterstellt wird.

Die ins Auge gefaßte Version des Dachs über dem Vorderdeck in Stahl erweist sich als undurchführbar, weshalb nun die Entscheidung für eine Ausführung in glasfaserverstärktem Sperrholz mit umlaufender Rinne aus Winkelstahl fällt. Hierfür wird die vorhandene Stahlrohrkonstruktion über dem Vorderdeck abgebaut und in eine der leeren Hallen auf dem Gelände verbracht, wo dann das Holzdach direkt über das Gestell geformt werden kann.

Verlängerung der Kabine, Schließen der nicht mehr gebrauchten Fenster im Heck, Ersetzen der alten instabilen Plexiglasscheiben durch Glasschiebefenster, Einbau von Bullaugen  im Bereich der künftigen Dusche, der Toilette und der Koje.

Innenausbau: Erweiterung der vorhandenen Gipskartonverkleidung in die neuen Teile der Kabine; anschließend Holzeinbauten für Koje, Sanitärräume, Schränke und Küche. Ausführung in Okoumésperrholz in Schiffsbauqualität, für die Naßzellen Siebdruckplatten.

Parallel hierzu Installationen für Wasser, Abwasser und Heizung, außerdem der Gasversorgung für den Herd.

Gleichzeitig Arbeiten unter Deck: Leitungen legen, Einbau von Kläranlage, Entsalzungsanlage, Generator, Wassertank, Filteranlage, Wasserpumpe, Heizung, Kanäle für Zuluft. Schließlich der neue Motor samt Abgasanlage, einschließlich der notwendigen Unterkonstruktionen. Das wenigste davon ohne multiple Kalamitäten und beständigen Planänderungen durchzuführen. Umfangreiche Elektroinstallationen außerdem, nicht zu sprechen von der Elektronik.

Böden unter Vorder- und Achterdeck aus Siebdruckplatten, danach mühsamer Einbau der Batterien im Gesamtgewicht von etwa einer Tonne. Im Maschinenraum Böden aus Lochblechen.
Bug- und Heckstrahlruder montieren.
Langes Warten auf neue Antriebswelle und überholte Schraube.

Anschweißen des Schriftzugs ›INO‹ am Heck.

Dazu parallel auf Deck: Einbau der reduzierten Führerkabine; Einrichten des Führerstands, Installation von allerhand Technik.
Kabinenbeleuchtung, Dämmung und Ergänzung des Bodens.

Auf dem Vorderdeck Einbau von Ankerklüse und Ankerwinde; Anbringen von Kette und Anker.

Konstruktion eines klappbaren Masts für die Positionslampen.

Anstricharbeiten: Zunächst rot, dann grau, schließlich RAL 1013, perlweiß, verteilt über einen längeren Zeitraum.

Montage der neuen Antriebswelle, danach erneutes langes Warten auf ein fehlendes Anschlußstück und auf die überholte Schraube.
Unterdeck achtern: Installation der Waschmaschine und Einbau von Halterungen für Container zur Aufbewahrung von Vorräten etc.
Unterdeck vorne: Einrichtungen zum sicheren Verstauen von Tauen, Fendern, Ersatzanker, Werkzeug, Maschinen, Ersatzteilen u.a.m.
Installation und probeweise Inbetriebnahme der elektronischen Einrichtungen, insbesondere der Navigationsanlage. Weniges funktioniert so, wie es soll.

Nach Einbau der restlichen Teile der Antriebsachse, Montage der Schraube und Überprüfung der Funktionsfähigkeit der wichtigsten Anlagen kann die INO nun, am 27. September 2017, ins Wasser gesetzt werden, nach 15 Monaten auf dem Trockenen. Eine sofortige Inspektion hat das beruhigende Ergebnis, daß zumindest der Rumpf dicht zu sein scheint – die anschließende Probefahrt allerdings zeigt, daß vieles noch im Argen liegt. Weitere drei Monate werden vergehen, bis wir Marghera verlassen, und von da an dauert es nochmals ein halbes Jahr, bis alles soweit in Ordnung gebracht ist, daß wir in See stechen können. Auch dann ist noch nicht alles getan, doch die Geschichte der Kalamitäten, Ausfälle, Reparaturen und Improvisationen während des ersten Teils der Reise soll an anderer Stelle geschrieben werden, wenn überhaupt.

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