DIE BIBLIOTHEK DER INO

In seinem 1960 erschienenen Roman KAFF auch Mare Crisium läßt Arno Schmidt den Protagonisten während eines Besuchs auf dem Lande seiner Freundin eine Geschichte aus der nahem Zukunft ezählen, die in guter Tradition der utopisch-satirischen Literatur auf dem Mond spielt. Hier gibt es zwei Kolonien, eine sowjetische und eine US-amerikanische, die untereinander in einem groteskem Kalten Krieg stehen, was um so absurder ist, als auf der Erde infolge eines Atomkriegs alles Leben ausgelöscht und die Menschheit also auf die zwei Grüppchen der Mondkolonisten reduziert ist. Mehr schlecht als recht kann man hier überleben, wobei es den Russen ein wenig besser zu gehen scheint als den Amerikanern, aus deren Perspektive erzählt wird. Die Möglichkeiten der Kultur unter diesen Bedingungen der technisch hochgerüsteten, aber insgesamt erbärmlichen Existenz ist eines der Themen der Erzählung, und hier geht es selbstverständlich auch um Literatur und um die beiden konkurrierenden Bibliotheken. Aus den zwei Büchern, die jeder der Mondfahrer hatte mitnehmen dürfen, setzen sich deren recht armselige Bestände zusammen, und auch hier sind die Russen im Vorteil, hatte doch jeder der Amerikaner gehorsam als eines der beiden eine Bibel eingepackt. (Papier ist übrigens Mangelware und strengstens rationiert, ein brauchbares Substitut für Toilettenpapier zu erfinden eine bislang ungelöste Aufgabe; Versuche mit Tuffstein führen zu keinem befriedigenden Ergebnis.)

Die INO wird auf ihrer Fahrt zwar das eine oder andere Buch mitführen, jedoch den Anspruch auf eine Bordbibliothek keinesfalls erheben können. Diese wird also aus Vorschlägen bestehen, aus einem virtuellen Katalog, der während der Dauer der Fahrt erstellt wird. Wer immer sich berufen fühlt, ist eingeladen, seinen Beitrag zu leisten, der, wie es sich gehört, aus dem Namen des Autors, Titel, Erscheinungsort und -jahr bestehen soll sowie einer kursorischen Notiz, die den Zusammenhang zum Projekt der INO herstellt. Also beispielsweise:

Rosei, Peter, Wer war Edgar Allan?, Salzburg 1977. – In Venedig angesiedelte Drogengeschichte, die die Stadt aus einer befremdlichen, rätselhaften Perspektive schildert, ein anderes, obesessives Venedig: Untergrund und Hölle.

Hettche, Thomas, Animationen, Köln 1999. — Ein ›Romanessay‹, in dem es vor dem Hintergrund Venedigs um Medientheorie, Anatomie und Pornographie geht.

Aretino, Pietro, Sonetti lussuriosi (I modi), 1527. – Für einsame Abende an Bord.

Twain, Mark (Samuel Langhorne Clemens), The Innocents Abroad, or The New Pilgrims’ Progress, Hartford, CT 1869. – Läßt sich das Programm der INO-Fahrt auf einen besseren Nenner bringen?

Die Beiträge bitte an kontakt@ino-art.eu.

Das Verzeichnis der Bibliothek der INO (jeweils auf den neuesten Stand gebracht):

Abū ʿAbdallāh Muhammad Ibn Battūta, (أبو عبد الله محمد بن بطوطة), Die Reisen des Ibn Battuta. (تحفة النظار في غرائب الأمصار وعجائب الأسفار  Tuḥfat an-Nuẓẓār fī Gharāʾib al-Amṣār wa ʿAjāʾib al-Asfār; ›Geschenk für diejenigen, welche die Wunder von Städten und den Zauber des Reisens betrachten‹) Herausgegeben und übersetzt von Horst Jürgen Grün, 2 Bde., München 2007. — Damit der Eurozentrismus einmal ein wenig gebremst werde.


Abraham a Sancta Clara (Ulrich Megerle), Judas der Ertz-Schelm, 4 Bde. Salzburg 1686,  1689, 1692 & 1695. — Linguistische Artistik in skrupellosester Manier.

Adams, Douglas, The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy. A Trilogy in five Parts. Bd. 1: The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy, London 1979; Bd. 2: The Restaurant at the End of the Universe, ebd. 1980; Bd 3: Life, the Universe and Everything, ebd. 1982; Bd. 4: So Long, and Thanks for All the Fish, ebd. 1984; Bd 5: Mostly Harmless, ebd. 1992 —

Adelung, Johann Christoph, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Ausgabe letzter Hand, 4 Bde. Leipzig 1793-1801. — Nicht durchs Meer, sondern durchs Universum der Wörter.Andrić, Ivo, Na Drini ćuprija, Belgrad 1945. Dt.: Die Brücke über die Drina, Zürich 1953. — Kann man ohne dieses Buch den Balkan verstehen?

Andrić, Ivo, Na Drini ćuprija, Belgrad 1945. Dt.: Die Brücke über die Drina, Zürich 1953. — Kann man ohne dieses Buch den Balkan verstehen?

Apollonius von Rhodos, Die Fahrt der Argonauten (Ἀργοναυτικά), übersetzt von Paul Dräger, Stuttgart 2002. — Dem mythischen Urbild der Schiffsreisen folgt die INO auf einem beträchtlichen Teil ihres Weges – nicht nur von Volos durch Ägäis, Marmarameer und Bosporus bis weit ins Schwarze Meer, sondern auch eine weite Strecke donauaufwärts.

Artmann, H.C. (Hans Carl), dracula dracula. Ein transsylvanisches abenteuer, Berlin und Meilen 1966. — Wo Stoker in der Bibliothek steht, darf Artmann nicht fehlen.

Aretino, Pietro, Sonetti lussuriosi (I modi), 1527. – Für einsame Abende an Bord.

Arnim, Achim von und Clemens Brentano (Hrsg.), Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, 3 Bde., Heidelberg 1806-1808. — Als Antidot, wenn einen Sentimentalitäten überkommen wollen. Ob, und falls ja, in welcher Hinsicht es Heimat ist oder sein kann, sei dahingestellt.

Artusi, Pellegrino, La scienza in cucina e l’arte di mangiar bene, Florenz 1891. — Darf nicht fehlen, wo gekocht wird.

Bembo, Pietro, Gli Asolani, Venedig (Aldus Manutius) 1505. — Wäre das nicht das Idealmodell für das Leben auf dem Schiff?

Benjamin, Walter, Städtebilder, Frankfurt/M. 1963. — Ein Spitzer zur Schärfung von Blick und Verstand.

Bernhard, Thomas, Alte Meister, Frankfurt/M. 1985. — Zum Zustand der Kultur in Österreich, zu Zeiten, als alles noch besser war.

Blumenberg, Hans, Schiffbruch mit Zuschauer, Frankfurt/M. 1979. — Mit dem Eisbrecher durchs Metaphernmeer.

Borges, Jorge Luis, Die letzte Reise des Odysseus. Essays 1980-1982. Übersetzt und herausgegeben von Gisbert Haefs, München 1987 — Der Titel spricht für sich.

Bräker, Ulrich, Etwas über William Shakespears Schauspiele, von einem armen ungelehrten Weltbürger, der das Glück genoss denselben zu lesen, St. Gallen 1998 [1780]. — »Ich ehre diesen großen Mann so sehr, als man einen Verstorbenen ehren darf, und wünsch ihn in jener Welt anzutreffen. Das Glück, seine Werke zu lesen, dringt mir diese Zeilen zu seinem Lobe ab, und wenn Shakespeare noch lebte, würde er dies unmündige Lob nicht verachten; vielleicht mich zwischen den Rippen kennen und lächelnd ein gütiges Urteil fällen.«

Brant, Sebastian, Daß Narrenschyff ad Narragoniam, Basel 1494. — Wenn das kein passender Titel ist.

Breydenbach, Bernhard von, Peregrinatio in terram sanctam, Mainz 1486. Dt.: Die heyligen reyßen gen Jherusalem zuo dem heiligen grab … , Mainz 1486. — Über Venedig ins Gelobte Land.

Brodsky, Joseph, Watermark, New York 1992. Dt.: Ufer der Verlorenen, übersetzt von Jörg Trobitius, München 1991 (sic!). — Hommage an die serenissima, an ihre Kunst, ihre Architektur. Wunderbar selbstironisch formulierte Erkenntnisse des Nobelpreisträgers über die ewigen Themen: Liebe, Eros, Treue, Träume, Sehnsüchte und Trennungsschmerz. [Brigitte Maier]

Calvino, Italo, Le città invisibili, Turin 1972. — »Dice [Kublai Kan]: – Tutto è inutile, se l’ultimo approdo non può essere che la città infernale, ed è  là in fondo che, in una spirale sempre piú stretta, ci risucchia la corrente. E [Marco] Polo: – L’inferno dei viventi non è qualcosa che sarà; se ce n’è uno, è quello che è già qui, l’inferno che abitiamo tutti i giorni, che formiamo stando insieme. Due modi ci sono per non soffrirne. Il primo riesce facile a molti: accettare l’inferno e diventarne parte fino al punto di non vederlo piú. Il secondo è rischioso ed esige attenzione e apprendimento continui: cercare e saper riconoscere chi e cosa, in mezzo all’inferno, non è inferno, e farlo durare, e dargli spazio.«

Casanova, Giacomo, Histoire de ma vie, 3 Bde., Paris 2013-2015. — Darf nicht fehlen, wo immer von Venedig gehandelt wird (und von Europa).

Camões, Luís de, Os Lusíadas, Lissabon 1572. Dt.: Os Lusíadas – die Lusiaden. Zweisprachig. Aus dem Portugiesischen von Hans Joachim Schaeffer, bearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Rafael Arnold, Berlin 2010. — Kühne Seefahrer vom anderen Ende Europens.

Cervantes Saavedra, Miguel de, El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha, Bd. 1 Madrid 1605, Bd. 2 ebd. 1615.  Dt. u.a.: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Übersetzt von Ludwig Tieck, 4 Bde., Berlin 1799-1801. — Gewichtiges vom Westrand Europas, zur Balance. Außerdem schlug sich der Autor wacker vor Lepanto.

Chamisso, Adelbert von, Reise um die Welt mit der Romanzoffischen Entdeckungs-Expedition in den Jahren 1815-18 auf der Brigg Rurik Kapitän Otto v. Kotzebue, 2 Bde., Leipzig 1836. — Leiden auf den Wassern, auch ohne explizite Katastrophen.

Colonna, Francesco, Hypnerotomachia Poliphili, Venedig (Aldus Manutius) 1499. — Wie könnte das schönste aller Druckwerke in einer anspruchsvollen Bibliothek fehlen, die noch dazu ene nur hypothetische ist?

Defoe, Daniel, The Life and Strange Surprizing Adventures of Robinson Crusoe of York, Mariner: Who lived Eight and Twenty Years, all alone in an un-inhabited Island on the Coast of America, near the Mouth of the Great River of Oroonoque; Having been cast on Shore by Shipwreck, wherein all the Men perished but himself. With An Account how he was at last as strangely deliver’d by Pirates. Written by Himself, London 1719. — Ein Gegenentwurf zum utopischen Genre, wo es auch immer um Schiffbruch und Insel geht.

Diderot, Denis, Jacques le fataliste et son maître, Paris 1797. — »Est-ce que l’on sait où l’on va?«

 
Die Erzählungen aus den tausendundein Nächten (persisch هزار و يک شب, arabisch ألف ليلة وليلة). Vollständige deutsche Ausgabe in sechs Bänden, nach dem arabischen Urtext der Calcuttaer Ausgabe aus dem Jahre 1839 übertragen von Enno Littmann, Wiesbaden 1953. — Neben allerhand anderem der Erzählungen von Sindbad dem Seefahrer wegen.

Doderer, Heimito von, Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre, München 1951. — Das Buch ist durchtränkt vom schon morbiden Geruch des altem K.u.K.-Reichs nach dem 1. Weltkrieg, Heimito von Doderer sagte selbst darüber: »Ein Werk der Erzählkunst ist es um so mehr, je weniger man durch eine Inhaltsangabe davon eine Vorstellung geben kann.« Entwickelt wird nichts anderes als ein weitgehend melancholisches Panoptikum des südöstlichen Europas nach dem 1. Weltkrieg – zentriert um eine allmählich in seiner Macht verfallende Schaltstelle desselben namens Wien. Von hier aus ist der Balkan der atmosphärische Tiefenraum, das Hinterland eines breiten Netzswerks von Geschehnissen und Handlungen, in dem die einzelnen Figuren treiben und getrieben werden…. wie auf einem Boot, das führungslos den Kräften von Wind und Wasser ausgesetzt ist. [Rolf Bier]

 
— Roman No.7: Die Wasserfälle von Slunj, München 1963. — 1.: Keine Bibliothek ohne Doderer. 2.: Balkan im Titel. 3.: Wasser.

Erasmus von Rotterdam, Adagiorum chiliades (Desyderii Herasmi Roterdami veterum maximeque insignium paroemiarum id est adagiorum collectanea), Paris 1500. — Aus vielen Gründen. Auch, weil man seinen guten Namen nicht dem Mißbrauch überlassen will.

Frank, Bruno, Cervantes, Amsterdam 1934. — Nicht zuletzt der Seeschlacht von Lepanto wegen.

Geertz, Clifford, The Interpretation of Culture. Selected Essays, New York 1973. Hierin: Thick description: Toward an interpretive theory of culture(dt.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt/M. 22003). — Geertz’ Konzept der »Thick Description« entspricht ziemlich genau den Plänen der INO-Fahrt. [Sabine Heiser]

Gracián y Morales, Baltasar, Oráculo manual y arte de prudencia, Huesca 1647. Dt.: Gracian’s Orakel der Weltklugheit, aus dessen Werken gezogen von D. Vincencio Juan de Lastanosa, und aus dem Spanischen Original treu und sorgfältig übersetzt von Arthur Schopenhauer, Leipzig 1862. — Wenn man nicht so recht weiter weiß.

Grillparzer, Des Meeres und der Liebe Wellen, Wien 1840. — Ob das wohl zum Antimetikum taugt, wenn die Wogen so richtig hochgehen?

Grimm, Jacob und Wilhelm, Kinder- und Hausmärchen, 2Berlin 1819. — Für allfällige Anflüge von Heimweh.

Handke, Peter, Die Morawische Nacht: Eine Erzählung. Frankfurt/M. 2008 — Auf einem Boot sich – zunächst nächtens – einfinden, auf einem Boot durch die Nacht fahren, durch angrenzende sumpfigeUferzonen stochern, in der  aufgeladenen Schwüle des Balkans nach (eigenem) Sinn und Unsinn suchen, Geschichte und sich selbst rechtfertigen, sehen, erleben, träumen, suchen und sich vorstellen: das Rastlose, das sich für Momente in perzeptive Ruhe auflöst. [Rolf Bier]

Hebel, Johann Peter, Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes, Stuttgart 1811. — »Jetzt aber lese ich die Kalendergeschichten immer wieder aufs neue, möglicherweise weil es, wie auch Benjamin bemerkte, ein Siegel ihrer Vollkommenheit ist, daß man sie so leicht vergißt« (W.G. Sebald).

Heinse, Wilhelm, Ardinghello und die glückseligen Inseln, Lemgo 1787. — Von Venedig in die Ägäis, mit vielen Turbulenzen.

Hemingway, Ernest, The Old Man and the Sea, New York 1952. — Viel Glück beim Fischen!

Heraklit, Fragmente, griechisch und deutsch, hrsg. von Bruno Snell, München, Zürich 1995. — Daß alles fließt, merkt man spätestens auf der Donau – in den Fluß steigen würde man dort aber nicht wollen, und schon gar nicht zweimal.

Herzmanovsky-Orlando, Fritz von, Scoglio Pomo oder Rout am fliegenden Holländer, Salzburg 1984. — Als die Adria noch gut österreichisch war.

Hettche, Thomas, Animationen, Köln 1999. — Ein ›Romanessay‹, in dem es vor dem Hintergrund Venedigs um Medientheorie, Anatomie und Pornographie geht.

Hölderlin, Friedrich, Hyperion oder der Eremit in Griechenland, 2 Bde., Tübingen 1797 und 1799. — Nicht das Land der Griechen mit der Seele suchend – »Hölderlins Griechenland ist in jeder Hinsicht ein Fluchtpunkt, der wiederum Ausgangspunkt für eine neue Flucht werden kann, in einer unendlichen dialektischen Bewegung, die die Heimat verfremdet und die Fremde als Heimat erscheinen läßt« (Luigi Reitani).

Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus, Lebens-Ansichten des Katers Murr, nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern, Bd. 1 Berlin 1820, Bd. 2 ebd. 1822. — Nach Jahrzehnten dies wiederzulesen ist ein ausgesprochenes Vergnügen und vermag wie wenig anderes über zähes Warten in Orten wie Jesolo oder Durrës hinwegzuhelfen.

Homer, Die Odyssee (ἡ Ὀδύσσεια), übersetzt von Johann Heinrich Voß, Hamburg 1781. — Bedarf nicht der Begründung.

Houellebecq, Michel, La carte et le territoire, Paris 2010. Dt.: Karte und Gebiet, übersetzt von Uli Wittmann, Köln 2011. — »… nostalgisches Nachsinnen über das Ende des industriellen Zeitalters in Europa und den vergänglichen Charakter aller von Menschenhand gefertigten Dinge im Allgemeinen.«

Jahnn, Hans Henny, Fluß ohne Ufer, 1. Teil: Das Holzschiff, München 1949, 2. Teil: Die Niederschrift des Gustav Anias Horn nachdem er neunundvierzig Jahre alt geworden war, Frankfurt/M. 1949, 3. Teil: Epilog, Frankfurt/M. 1961. — Und wenn es auch nur um der Architektur willen wäre.

Jakobinsky, Vladimir Zeev, Die Fünf, Berlin 2012. — Untergegangenes von der Schwarzmeerküste. Auch der denkwürdigen Biographie des Autors wegen.

Jarry, Alfred, Gestes et opinions du docteur Faustroll pataphysicien. Roman néo-scientifique, suivi de spéculations, Paris 1911. Dt.: Heldentaten und Ansichten des Doktor Faustroll, Pataphysiker. Neowissenschaftlicher Roman, übersetzt von Klaus Völker, Frankfurt/M. 1987. — »Je tirai les rames reculant sans savoir où, louchant entre deux files de fils mouillés d’horizontalité grise, croisant des formes surgies derrière moi que les avirons tranchants fauchaient aux jambes; d’autres formes lointaines imitaient le sens de notre route. Nous nous insérions entre les foules d’hommes ainsi que dans un brouillard dense, et le signe acoustique de notre progression était l’acuité de la soie déchirée.«

Jerofejev, Wenedikt, Die Reise nach Petuschki, München 1978. — Der andere Reiseroman.

Jurjew, Oleg, Die russische Fracht. Originaltitel Винета, aus dem Russischen übersetzt von Elke Erb und Olga Martynova, Frankfurt/M. 2009 — Phantastische russische Groteske – also ein realistischer Roman um ein ukrainisches Geisterschiff, um- und ausgebaut im rumänischen Giurgiu, also im Șantierul Naval, dem Winterquartier der INO – auch wenn’s nur deshalb wäre, dürfte es nicht fehlen.

Kapuścinśki, Ryszard, Podróże z Herodotem, Kraków 2004. Dt.: Meine Reisen mit Herodot: Reportagen aus aller Welt, übersetzt von Martin Pollack, München 2007. — Der Blick des Reisenden und die Aktualität der Antike.

Keller, Gottfried, Das Sinngedicht, Berlin 1881. — Auch eine Reise. Im Spiegel heiterer Ländlichkeit der kalte, sezierende Blick.

Logau, Friedrich von, Salomons von Golaw Deutscher Sinn-Getichte drey tausend, Breslau 1654. — Zur kurzen oder längeren Erbauung an Bord.

Loos, Adolf, Ornament und Verbrechen, Wien 1962. — »Der moderne mensch, der sich tätowiert, ist ein verbrecher oder ein degenerierter. Es gibt gefängnisse, in denen achtzig prozent der häftlinge tätowierungen aufweisen. Die tätowierten, die nicht in haft sind, sind latente verbrecher oder degenerierte aristokraten. Wenn ein tätowierter in freiheit stirbt, so ist er eben einige jahre, bevor er einen mord verübt hat, gestorben.«

May, Karl, Durch das Land der Skipetaren, Freiburg i. Br. 1892. — Möglicherweise als Handreichung während der Fahrt entlang der albanischen Küste geeignet. [Sabine Heiser] — Dann doch gleich der ganze Orientzyklus – vielleicht ist ja auf dem Schiff Zeit, in früher Jugend aus gutem Grund versäumte Lektüre nachzuholen: Durch Wüste und HaremDurchs wilde KurdistanVon Bagdad nach StambulIn den Schluchten des BalkanDurch das Land der SkipetarenDer Schut (samt Anhang).

Markson, David, Wittgenstein’s Mistress, London 1988. Dt.: Wittgensteins Mätresse, übersetzt von Sissi Tax, München 2013. — Ein radikales Reisebuch: Der letzte Mensch, eine Frau, reist durch die Welt, die von ihren unverläßlichen Erinnerungen bevölkert ist.

Melville, Herman, Moby-Dick; or, The Whale, New York 1851. — Besser hätte uns allerdings ein Roman über die Große Weiße Seekuh getaugt.

Merz, Klaus, Löwen Löwen. Venezianische Spiegelungen, Innsbruck, Wien 2004. — Auch wenn dort ein vaporetto schnöde als ›Dieselkahn‹ bezeichnet wird.

Mörike, Eduard, Das Stuttgarter Hutzelmännlein, Stuttgart 1853. — Vielleicht blüht ja auch den INO-Fahrern die eine oder andere schöne Lau im Einzugsbereich der Donau.

Morus, Thomas, De optimo rei publicæ statu deque nova insula Utopia, Löwen 1518. — Die rechte Lektüre für Albanien.

Ovid, Tristia. — Geschrieben um die Zeitenwende in der Verbannung von Tomi (heute Konstantia, Rumänien), handeln die Klagelieder von Sehnsucht nach der Stadt, der urbs,  die ihm Welt war: Rom. Solche Sehnsüchte können sich durchaus auch während der länglichen Fahrt des vaporetto einstellen. [Sabine Heiser]

Palladio, Andrea, I quattro libri dell’architettura di Andrea Palladio: ne’ quali, dopò vn breue trattato de’ cinque ordini, & di quelli auertimenti, che sono più necesarij nel fabricare : si tratta delle case private, delle vie, de i ponti, delle piazze, de i xisti, & de’tempij, Venedig 1642. — Die letzte Ausgabe mit Abzügen von den originalen Druckstöcken und die erste, die alle vier Bände vereint. Erfolgreiche Exportware aus Venedig.

Paul, Jean, Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch, Berlin 1801 — »Es gibt für uns drei Glückswege. Der erste, der in die Höhe geht, ist: soweit über das Gewölke des Lebens hinauszudringen, als man die ganze äußere Welt mit ihren Wolfsgruben, Weinhäusern und Gewitterableitern von weitem unter seinen Füßen nur wie ein eingeschrumpftes Kindergärtchen liegen sieht. Der zweite ist: – gerade herabzufallen ins Gärtchen und da sich so einheimisch in eine Furche einzunisten, daß, wenn man aus seinem armen Lerchennest heraussieht, man ebenfalls keine Wolfsgruben, Weinhäuser und Stangen, sondern nur Ähren erblickt, deren jede für den Nestvogel ein Baum und ein Sonnen- und Regenschirm ist. – Der dritte endlich – den man für den schwersten und klügsten halten kann, ist der, mit den beiden andern zu wechseln.« (Jean Paul, Aus dem Leben des Quintus Fixlein)

— Dr. Katzenbergers Badereise, Heidelberg 1809. — Ohne diese Groteske kann eine Bibliothek, die sich, wenn auch lose, ums Reisen rankt, keine vollständige sein.

Penzo, Gilberto, Barche veneziane. Catalogo illustrato dei piani di costruzione, Sottomarina 2002. — Ammiana, barcheta, barchetto, barcone, bastardo, batela, battellone, bissona, bragagna, bragosseto, bragosso, bragozzo, bucintoro, buranella, burchio, burcio, busegata, caorlina, chiatta, disdotona, dodesona, gaietta, gondelo, gondola, gondolín, mascareta, motonave, mototopo, motoscafo, mototrasporto, mussìn, omnibus, padovana, passera, patana, peata, piotta, prama, puparin, quatordesona, sandolo, sanpierota, rascona, tartana, topa, topo, trabacolo, vaporetto, vipera, zattera – und all das meist noch in verschiedenen Varianten.

Perec, Charles, W ou le Souvenir d’enfance, Paris 1975. — L’utopie au cauchemar.

— La Vie mode d’emploi, Paris 1978. Dt.: Das Leben Gebrauchsanweisung, übersetzt von Eugen Helmlé, Frankfurt/M. 1982.— Mehr Abenteuer war literarisch nie.

Pilla, Tina, Farbverschiebungen, Walkenried 2003. — Rotgetönte Damen bei Flaute und niedrigen Pegelständen.

Poe, Edgar Allan, The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket, New York 1838. Dt.: Umständlicher Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket, übersetzt von Arno Schmidt, Freiburg i. Br. 1966. — Das blanke Entsetzen auf dem Meer.

Pynchon, Thomas, Against the Day, London 2006. 1.: Weil keine Bibliothek ohne Pynchon komplett sein kann. 2.: Weil es das beste Buch von Pynchon ist, neben The Crying of Lot 49, V, Mason & Dixon, Vineland, Inherent Vice, Gravity’s Rainbow … 3.: Weil die einzige Photographie, die von Pynchon bekannt ist, ihn als Matrosen zeigt.
Rombach, Otto, Der standhafte Geometer, Stuttgart, Berlin 1938. — Die Suche nach dem Ursprung der Donau.

— Der junge Herr Alexius, Stuttgart 1940. — Auch ein Venedigroman, und nicht der schlechteste.

Rousseau, Jean Jacques, Les Confessions,  Londres [i.e. Neuchâtel?] 1782. — Neben anderem, Gewichtigem auch als Mottolieferant für die INOunternehmung: Mais c’est assez de réflexions pour un voyageur; il est temps de reprendre ma route.

Ruskin, John, The Stones of Venice, 3 Bde., London 1851-1853. — »We want one man to be always thinking, and another to be always working, and we call one a gentleman, and the other an operative; whereas the workman ought often to be thinking, and the thinker often to be working, and both should be gentlemen, in the best sense.«

Schmidt, Arno, KAFF auch Mare Crisium, Karlsruhe 1960. — Wenn sich schon der Einleitungstext zur Bibliothek der INO so ausführlich darauf bezieht, dann gehört es auch hinein.

— Zettels Traum, Stuttgart 1970. — Zur Not auch als Ballast zu gebrauchen.

– Die Gelehrtenrepublik. Kurzroman aus den Roßbreiten, Karlsruhe 1957. — Phantastisch-utopische Reise zu einer schwimmenden Insel, die sich am Ende bloß um sich selbst dreht.

Sackville-West, Vita, Seducers in Ecuador, London 1924. Dt.: Verführer in Ecuador, übersetzt von Ernst W. Freißler und Hans B. Wagenseil, Wiesbaden 1946. — »There are paintings of ships setting sail into a haze of sunlight, ships full-rigged, broad-beamed, with tracery of rope, pushing off for the unknown, voyages to Cythera, misty and romantic; […] Those paintings of ships show the ship setting sail in fair weather; they never follow her into the turbulence of her adventure.«

Sannazaro, Jacopo, Arcadia, Neapel 1504. — Mag als Vorlage für ausgedehnte Schäferspiele auf glückseligen Inseln dienen, zu Begleitung auf der sampogna.

Schnabel, Johann Gottfried, Die Insel Felsenburg, 4 Bde., Nordhausen 1731, 1732, 1736 und 1743. — Üppiges und Buntes: Hinter Seefahrergeschichten, Schiffbrüchen, Robinsonaden, Utopien & vielem anderem mehr verbirgt sich die frühe Aufklärung, und das alles vor pietistischem Hintergrund. Eines der einflußreichsten Bücher der deutschen Literatur.

Scott, Walter, The Pirate, Edinburgh 1822. — »Dark men twisted by their criminality, obsessed women, murderous rivalry …« – also so recht aus dem vollen Leben geschöpft.

Sei Shonagon, Makura no Soshi. Dt.: Das Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shonagon. Hrsg. und aus dem Japanischen übersetzt von Mamoru Watanabé, Zürich 1997. — Mit solch wunderbar leichter Präzision sollte man sich die Welt betrachten. Reisen ist dazu nicht notwendig.

Shakespeare, William, The Tempest, ed. Rowe London 1719. — War je schönerer Schiffbruch?

Sterne, Laurence, A Sentimental Journey Through France and Italy, London 1768. Dt.: Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien, nebst einer Fortsetzung von Freundeshand, übersetzt von Johann Joachim Christoph Bode, Hamburg und Bremen 1769. — Vielleicht hätte man sich all die Aufgeregtheiten um das Programm der INO-Fahrt sparen und sich einfach auf Sternes Buch berufen sollen.

Storfer, Adolf Josef, Wörter und ihre Schicksale, Berlin/Zürich 1935. — War je schöneres Reisen durch Wörterwelten?

Svevo, Italo (Ettore Schmitz), Senilità, Triest 1898. — Triest.

— La coscienza di Zeno, Bologna 1923. — Triest, die mitteleuropäischste aller Städte.

Thorpe, Nick, The Danube. A Journey Upriver from the Black Sea to the Black Forest, New Haven und London 2014. Dt.: Die Donau. Eine Reise gegen den Strom, übersetzt von Brigitte Hilzensauer, Wien 2017. — Für die rudimentäre Donaubibliothek. Außerdem fährt auch die INO gegen den Strom, und so muß man nicht rückwärts lesen.

Twain, Mark (Samuel Langhorne Clemens), The Innocents Abroad, or The New Pilgrims’ Progress, Hartford, CT 1869. – Läßt sich das Programm der INO-Fahrt auf einen besseren Nenner bringen?

Verne, Jules, Vingt mille lieues sous les mers, Paris 1869. Zum Pläsier und als Apotropaion: Nicht unter dem Meer soll die INO fahren, und es möge die Reise auch nicht zweimal um die Erde führen! – Die lieue métrique, die im Titel gemeint ist, hat eine Länge von 4000 Metern.

 
— Le pilote du Danube, Paris 1908. — Sollte sich dies als ein anderer Reiseführer entpuppen, der im Schatten falscher touristischer Angaben (etwa der Höhe des Ulmer Münsterturms mit 108 statt mit 161 Metern) sein eigentliches sujet geschickt verbirgt, eine Donautopographie nämlich der Un- und Schandtaten, der Räuber, Diebe und anderer Malefikanten, der Spitzbuben und Bauernfänger, Polizeispitzel und Geheimagenten?

Waterhouse, Peter, PassimGedichte, Reinbeck bei Hamburg 1986. — Das Leben in und das Verstehen der eigenen Sprache ist weit weniger selbstverständlich als man vielleicht glaubt: in Form vermeintlich absurder linguistisch-rhetorischer Fragestellungen und Verschiebungen kreuzt Peter Waterhouse 1986 in seinem Band ›Passim‹ in bis heute überraschender Form perzeptive, existenzielle und philosophische Aspekte eines In-der -Welt-Seins in Sprache: auf einmal ist nichts mehr selbstverständlich und ein vermeinliches ›Verstehen‹ öffnet sich vielfachen Bedeutungen – überwiegend im Fragemodus, wie es für eine große Reise in unvertraute Länder mit fremden Sprachen typisch ist. [Rolf Bier]

Widmer, Urs, Ein Leben als Zwerg, Zürich 2006. — Raffiniertestes zur Perspektive. Enthält außerdem eine Apokalypse als Reisebericht.