In Orschowa, dem vielleicht trostlosesten Ort an der ganzen Donau, eine halbe Stunde oberhalb der Donaustaustufe ›Eisernes Tor 1‹ gelegen, machten wir die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der sich auf ein Leben als Donaukapitän vorbereitet. Eigentlich könnte man ihn schon jetzt so nennen, ist er doch der căpitan der Danubius, eines kleinen Dampfers (vapor auf rumänisch), der im Sommer Touristen auf kurze Ausflugsfahrten zu der Handvoll von Sehenswürdigkeiten mitnimmt, die das Ufer des gestauten Stroms säumen: neben den Naturschönheiten das Kloster Mraconia, die unlängst fertiggestellte Rekonstruktion einer im Stausee untergegangenen Rekonstruktion der Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, dann die aus den Fluten gerettete und ans neuentstandene Ufer versetzte tabula traiana, sowie den riesenhaften und außerordentlich häßlichen Kopf Decebels, des letzten Königs der Daker, in den Fels gehauen im Auftrag Iosif Constantin Dragans, den seine etwas zweifelhaften Geschäfte zum reichsten Mann Rumäniens gemacht hatten und der als Historiker dilettierte und in zahlreichen Schriften den Protochronismus propagierte, eine krude nationalistische Geschichtsauffassung, die sowohl von Ceauşescu favorisiert wurde als auch nach dessen Fall und Ende von rechtsnationalistischen Kreisen.
Den Winter über, wenn keine Touristen hier sind, arbeitet der Kapitän oder angehende Kapitän im Nachbardorf auf dem Bau. Er bewohnt das ganze Jahr über die Kajüte der Danubius, und so haben wir ihn auch kennengelernt – wir hatten am Nachmittag, als wir in Orschowa angekommen waren, längsseits an seinem Boot festgemacht, abends klopfte er an unsere Tür, trat ein, grüßte höflich und blieb. Seine wenigen Brocken Englisch erlaubten einen beschränkten Austausch, aus dem sich immerhin ergab, daß er nicht von Orschowa gebürtig sei und daß er nichts benennen könne, das ein Hiersein oder gar -bleiben lohne – wobei es nicht den Eindruck machte, daß dies eine Frage wäre, die sich ihm je gestellt hätte. Doch meinen wir verstanden zu haben, daß hier des abends nichts anderes als zu schlafen bliebe – auch dies ohne Sarkasmus vorgebracht. Sein Bruder und sein Vater, verstanden wir, lebten in Deutschland, die Mutter in Italien. Er selbst habe vor, in zwei Jahren das Donaupatent zu erwerben, 18 Jahre sei er alt. Der Tourismus in Orschowa sei big business, ausländische Besucher gäbe es aber so gut wie keine. Noch sei es ruhig, doch in drei Wochen beginne die Saison.
Als die Gesprächsmöglichkeiten erschöpft waren, machte er keine Anstalten, sich auf sein eigenes Schiff zurückzuziehen (das, überflüssig zu erwähnen, nicht ihm gehört), sondern blieb sitzen, auch als wir anfingen, uns an unsere eigenen Geschäfte zu machen, Anstehendes zu besprechen und Liegengebliebenes zu erledigen. Als schließlich, es ging schon bald auf Mitternacht, die Kuttelsuppe fertig war, die während des ganzen Abends auf dem Herd vor sich hin gekocht hatte, nahm er mit großer Selbstverständlichkeit mit am Tisch Platz und verhehlte höflich, daß er mit der Zubereitung nicht einverstanden war (Kuttelsuppe, ciorba de burta, ist das rumänische Nationalgericht, und was er hier vorgesetzt bekam, hatte damit wenig zu tun).
Am folgenden Abend (ungünstigen Wetters wegen waren wir länger als vorgesehen in Orschowa geblieben, hatten die INO aber nicht verlassen und den Tag genutzt, sie einer gründlichen Reinigung zu unterziehen) erschien er abermals, ließ sich wie selbstverständlich nieder und beschäftigte sich die meiste Zeit mit seinem Telephon, während wir unseren Arbeiten nachgingen. An unserer Mahlzeit wollte er diesmal nicht telnehmen.