Die Frau von nebenan

Die Heftigkeit des diesjährigen Frühlingsausbruchs zeigt sich hier im Hafen auf vielfältige Weise – der vertrocknete Lorbeer, der in seinen Plastikkübeln den Weg zum Showroom der Arti Veneziane (Murano glassware, jewellery, lace and mask making – they also build gondolas) wenn nicht ziert, so doch faßt, will uns etwas weniger trostlos scheinen, die Enten haben ihre undurchsichtigen Paarungsrituale hinter sich, der wachsende Hormondruck der vitelloni zeigt sich an der Lautstärke sowohl ihrer Außenbordmotoren als auch ihrer überdimensionierten Musikanlagen – wobei ›Musik‹ zumeist ein rechter Euphemismus ist für das, womit sie die Welt beglücken –, und die Pakistani in Creas Werft machen fleißig Überstunden, um die über den Winter hier in den alten Hallen in riesigen Regalen eingemotteten Boote wieder sommerfest zu machen. Auch die größeren Schiffe im Hafenbecken werden allmählich unruhig, und schon zeigen sich die ersten Besitzer und winken.

Bereits zu Ostern hatte eine junge Mutter samt neunjährigem Sohn auf der ›Melodia‹ Quartier genommen, einer Motoryacht von knapp zwanzig Metern, die sich ein wenig ausmacht wie die Kreuzung eines Rasenmähers mit einem Bügeleisen. Unverkennbar langweilt sie sich. Manchmal sieht man sie auf dem Achterdeck rauchen, und hin und wieder sitzt sie auf dem Bootssteg, elegisch in die Ferne schauend, meist aber in sich gekehrt und unablässig in ihr Handy vertieft, auf das sie langsam mit spitzen Fingern tippt, wie in Zeitlupe. Den engeren Umkreis des Bootes verläßt sie allenfalls für kurze Einkäufe. Zu Beginn war sie begleitet von einem hiphoppenden Jüngling etwas öligen Anstrichs, der auf der Kaimauer zu lauter Musik allerhand Kapriolen schlug, etwa Pirouetten im Kopfstand und ähnliches, das ihm keinesfalls guttun konnte. In den letzten Tagen ist zweimal für kurze Zeit der Ehemann und Vater ihres Kindes aufgetaucht, ein jovialer Amerikaner in den besten, also eher fortgeschrittenen Jahren, in Venedig lebend, wie er während einer kurzen Begrüßung nebst anderem kundtat. Die Ennuyierte hört man Englisch mit russischem Einschlag sprechen, den Sohn, den man nie zur Schule gehen sieht, Amerikanisch.
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