Verspätete Miszellen zum Carneval

Der veneziano im carnevale

Venezianer sucht man hier vergeblich – sie scheinen für die Zeit des Carnevals die sinkende Stadt verlassen zu haben. Die Hoffnung, sie könnten sich vielleicht hinter der Anonymität der allgegenwärtigen Masken verborgen halten, zerstiebt, wenn diese den Mund aufmachen: Mehr als die Hälfte spricht deutsch, die anderen unterhalten sich auf amerikanisch oder französisch. Freilich finden sich auch Italiener, wir wollen nicht allzu polemisch sein.

Il buono e il bello

Die Sache hat auch ihre guten und damit schönen Seiten – eine zumindest: In der Woche vor Aschermittwoch findet man allerorten frittelle, schneeballgroße, in Schmalz oder Öl ausgebackene, mit Zucker bestreute Krapfen. Es gibt große Qualitätsunterschiede, doch haben sie das Zeug, Gedränge und Vulgarität vergessen zu machen, in denen die Stadt versinkt. Es gibt sie gefüllt, doch sind am besten die sogenannten venexiane – sie kommen senza gnente, ohne nichts, wie auf dem Schildchen in der Pasticceria Rizzardini steht.

Ein Ausnahme: echte Venezianer.

Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste des Kinos

Der venezianische Carneval in seiner heutigen Form geht auf eine Initiative Fellinis zurück, der 1976 seinen Casanovafilm in die Kinos gebracht hatte und dann drei Jahre später auf der Biennale den Carneval als Event inszenierte, mit beachtlichem Erfolg. Wir hoffen, dies werde ihm dereinst nicht angerechnet werden, ist ihm doch sicherlich keine böse Absicht zu unterstellen.

Eine humoristische Einlage

Als eine der wenigen vergnüglichen Beobachtungen in der verbreiteten Lust- und Freudlosigkeit erwies sich der Abzug einer Gruppe würdiger älterer Herrschaften, die im Kostüm venezianischer Honoratioren – einer gab gar den Dogen – zuvor von Trommelwirbeln begleitet ihren prachtvollen Einzug zwischen den beiden Säulen auf der Piazzetta hindurch auf den Markusplatz hielten, um dort dann Teil eines erbärmlichen, auf eine Großbildwand übertragenen Events im Stil der TV-Shows italienischer Privatkanäle zu sein. Nach getanem Werk sieht man sie geschlossen, doch nicht mehr in Formation, unter den abziehenden Touristen auf dem Vaporetto zum Piazzale Roma.

Perfidie und Perversion

Die kostümierten venedigspielenden Fremden vermögen es, der Stadt auf eine viel perfidere, weil anmaßendere Weise das Seelenlicht auszublasen als es dem Tourismus zu anderen Zeiten gelingt, wo nur ohne Verständnis geglotzt wird (Friedrich hörte unlängst, wie ein Schaffner auf dem Vaporetto gefragt wurde, um welche Uhrzeit die Stadt denn schlösse). Es ist denkwürdig und alles andere als eine bloße Koinzidenz: Venedig, seit langem einem verständnislosen Voyeurismus bar jeglicher Anteilnahme preisgegeben, füllt sich zum Carneval, der Zeit also, die mit der Behauptung einer historischen Kontinuität und dem Angebot der Teilnahme eine gesteigerte Authentizität beansprucht, mit armseligen Ausgeburten touristischer Phantasien, Komparsen des schlechten Geschmacks, deren Partizipation sich ausschließlich auf Strategien der Exhibitionierung, also auf nichts als den Akt des Zeigens selbst bezieht. Die in dieser Form symmetrischer Entsprechung sich andeutende Wahrheit könnte einem die Sache beinahe sympathisch machen.
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