Vom Reisen im Zeitalter des selfie

Warum reisen? — Wenn jeglicher Unmittelbarkeit eine medialisierte Erfahrung, jeglichem spontanen Erleben ein medialisiertes voranging, wenn also jedes Unmittelbare zum déja-vu geworden ist und an eine Medienkonserve erinnert – wozu dann noch reisen? Man reist, so will es die Tradition, aus Neugierde, um fremde Länder und Menschen aufzusuchen, oder man tut es, um etwas zu entdecken, etwas herauszufinden oder etwas zu lernen. (Selbstverständlich reist man auch in Geschäften, was uns hier aber nicht interessiert, genausowenig wie diejenigen, die reisen, um sich einen Mordsrausch samt zugehörigem Sonnenbrand einzufangen.)

Daß das Reisen bilde, wird sich kaum noch mit Fug und Recht behaupten lassen. Denn hierfür wäre eine zumindest rudimentäre Vor-Bildung die Voraussetzung, und das Vorhandensein einer solchen würde im Verhalten des Reisenden zum Ausdruck kommen: Aus der Art und Weise seiner Betrachtung spräche Neugierde, aus seiner Haltung und seinem Benehmen dem Betrachteten gegenüber Respekt. Von Solchem kann aber nur noch in Ausnahmefällen die Rede sein. Zwar sind vielleicht solche Reisenden, die zumindest ihren alten Baedecker, vielleicht gar die gleichfalls roten Bände des Touring Club Italiano oder den Dehio in der Tasche haben, nicht einmal weniger geworden, doch spielen sie unter den drei Millionen, die jedes Jahr mit dem Flugzeug in Dubrovnik einfallen, verstärkt von einer knappen Million, die von den großen Kreuzfahrschiffen noch zusätzlich ausgespuckt werden, keinerlei Rolle mehr. 

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Be vulgar, by all Means!

Unfaithfully Yours, einer der späteren Filme von Preston Sturges, enthält eine der präzisesten Aussagen wenn nicht gar zur Ästhetik des Films an sich, so zumindest zum ästhetischen Programm des Regisseurs selbst, eines Mannes, von dem man annehmen kann, daß er wie wenige andere sein Tun kritisch reflektierte. Viele seiner Filme, am explizitesten wohl Sullivan’s Travels, sind genaue Bestimmungen der Beziehung zwischen Hoch- und Populärkultur, und sie akzeptieren, in guter angelsächsischer Tradition, eine Scheidelinie nicht. Rex Harrison spielt in besagter screwball comedy einen Dirigenten, dem während einer Orchesterprobe von Rossinis Semiramide-Ouverture vom Mann mit den Becken auf die Forderung nach mehr Einsatz die Frage But wouldn’t that be vulgar? […] As a small boy I was learned always never to be vulgar! gestellt wird, was der Maestro mit dem Ausruf beantwortet: Be vulgar, by all means! Der folgende Einsatz des Schlagwerks wie auch die gesamte filmische Darlegung des Musikstücks könnten lustvoller nicht sein, was noch dadurch unterfüttert wird, daß der Dirigent sich während des Dirigierens eine Zigarette ansteckt. Hätte die Popart sich je zur Bewegung formiert und wäre öffentlich aufmarschiert, ein besseres Banner hätte sie nicht vor sich her tragen können.

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