Vor einigen Jahren, im Zuge einer baugeschichtlichen Photokampagne in Mantua, verschlug es uns nach Peschiera del Garda, einen Ort, den wir sonst wohl eher gemieden haben würden, hielte hier nicht der Nachtzug nach München. Für das Abendessen stand eine beachtliche Zahl an Restaurants zur Auswahl – der Ort ist auf einen großen Andrang von Touristen eingestellt, hauptsächlich deutscher. Die Speisekarten wiesen ausschließlich italienische Gerichte auf, was insofern nicht ganz selbstverständlich ist, als die Ufer des Gardasees ja vor noch nicht allzulanger Zeit mit Etablissements überschwemmt waren, die mit ›deutschem Kaffee und Kuchen‹ warben. Sollte sich hieraus auf einen Wandel schließen lassen, vom ängstlichen Bestehen auf Heimatlich-Vertrautes hin zu einer Offenheit für das Fremde, einer um sich greifenden Neugier auf das Authentische, Ungewohnte, Unbekannte, dessen Ort die Fremde ja ist? „Mediterraner Kulturpessimismus, oder: Von Harz bis Hellas nur Bekanntes“ weiterlesen
Tourismuswerbung
Jüngst, auf dem Flughafen in Tegel den Abflug nach Dubrovnik (ehedem Ragusa) erwartend, sah man sich auf den omnipüräsenten Flachbildschirmen der Wartehalle der Endlosschleife eines Werbefilms ausgesetzt, der zum Urlaub in Ägypten animieren sollte. Allerhand Einladendes bekam man vorgeführt: einen Mann, der in ein großes blaues Meer springt, bunte Fische unter Wasser, einen üppig gedeckten Frühstückstisch, nette Eingeborene mit farbenfrohen Mützchen, freundliche Wohlfühlmusik machend, einen romantischen Blick vom Hotelbalkon in den Sonnenuntergang und anderes mehr. Nichts dagegen von alledem, das Ägypten seit der Erfindung des Tourismus zu dessen bevorzugtem Ziel machte: keine Pyramide, kein Tempel, nicht Abu Simbel, nicht Memphis, nicht einmal ein Tut Ench Amun, auch keine Moschee, keine Medrese, kein Simneonskloster, kein Markt, kein Basar, kein Kaffeehaus. — Die zugkräftige Argumentation der beauftragten Werbeagentur sich auszumalen, bedarf keiner ausgeprägten Phantasie.
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Vom Reisen im Zeitalter des selfie
Warum reisen? — Wenn jeglicher Unmittelbarkeit eine medialisierte Erfahrung, jeglichem spontanen Erleben ein medialisiertes voranging, wenn also jedes Unmittelbare zum déja-vu geworden ist und an eine Medienkonserve erinnert – wozu dann noch reisen? Man reist, so will es die Tradition, aus Neugierde, um fremde Länder und Menschen aufzusuchen, oder man tut es, um etwas zu entdecken, etwas herauszufinden oder etwas zu lernen. (Selbstverständlich reist man auch in Geschäften, was uns hier aber nicht interessiert, genausowenig wie diejenigen, die reisen, um sich einen Mordsrausch samt zugehörigem Sonnenbrand einzufangen.)
Be vulgar, by all Means!
Pula, oder von den Segnungen der Industrie
Einen Ort zu finden, der nicht ausschließlich vom Tourismus lebt, oder der nicht gänzlich dem Tourismus geopfert wurde, oder der sein Überleben nicht ausschließlich dem Tourismus verdankt, dürfte an der kroatischen Adriaküste nicht einfach sein. Die Sinnentstellung der Städte, die der enthemmte Tourismus nach sich zieht, ihre Degradierung zum voyeuristischen Objekt, die Entfremdung, die im Gefolge der spätkapitalistischen Erfolgsgeschichte unabdingbar scheint, erfüllen mit einem Gemisch aus Wut und Wehmut, das nicht notwendigerweise sentimental sein muß.
Industrietourist
UNLÄNGST, IM FORTE MARGHERA,
einer von den Habsburgern angelegten Festung am Rand der Lagune, wo sich heute ein buntes Künstlerleben abspielt, trafen wir eine Studentin des Tourismus, die sich mit der Behauptung hervortat, vaporetti seien zu Anfang auch für den militärischen Einsatz konzipiert gewesen und somit eigentlich Kriegsschiffe. (Möglicherweise hatte sie davon gehört, daß einige von ihnen während der beiden Weltkriege für Transportzwecke requiriert worden waren.) Unsere Erwiderung, das tauge uns gut, sei doch die INO in Wirklichkeit nichts weniger als das Flagschiff der venezianischden Flotte, unsere geplante Fahrt in Wahrheit nur der Deckmantel für eine vorläufig noch geheime militärische Mission, eine großangelegte Offensive zur Befreiung Konstantinopels aus den Händen der Ungläubigen, quittierte sie mit kaum verhohlener Empörung, verließ auch alsbald die Runde. [fb]