Perspektive bei Walter De Maria – Teil 9
Die späten Kugeln sind allesamt Schwergewichte (die Large Red Sphere in München wiegt mehr als 25 Tonnen), und sie besitzen alleine schon ob ihrer Masse eine enorme physische Präsenz – fast ist man vor ihnen versucht, Hans Henny Jahnns in seiner ›Theorie der Gewölbe‹ festgehaltenen Überzeugung recht zu geben, nach der die Masse unmittelbar wahrnehmbar sei, mittels eines verborgenen Sinnesorgans. Die Kugeln sind nun statische Gebilde geworden und ruhen auf Sockeln – wobei der Gedanke an eine potentielle Bewegung als eine der Möglichkeiten, das Kunstwerk in der Betrachtung zu denken, den Betrachter zu verunsichern und den Künstler einmal mehr als high priest of danger auszuweisen vermag. Doch sind, bei aller beunruhigenden Labilität, die Kugeln fest im geometrischen Raumgerüst verankert, oder besser: es ist der Raum, in dem sie sich befinden, fest um sie gefügt, denn sie sind es, die als paradoxe Raumgeneratoren nicht nur die Räume, sondern tatsächlich den Raum um sich ordnen, zentrieren und fokussieren. Eine klarere und pointiertere Bestimmung des Orts als einer zentralen Frage der Bildhauerei dürfte sich schwerlich finden lassen, und auch seine schwierige Beziehung zum umgebenden Raum und darüberhinaus zum Raum an sich findet sich hier auf die exemplarische Weise auf den Punkt gebracht, die dem Kunstwerk vorbehalten ist.
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Perspektive bei Walter De Maria – Teil 8
8.: Balls & Spheres
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Perspektive bei Walter De Maria – Teil 7
»…lines traveling out to infinite points…«
Beobachtungen zur Perspektive im Werk von Walter De Maria
Ein Essay in zehn Lieferungen
7.: Mile Long Parallel Walls in the Desert
Auf seinem Weg zwischen den Walls in the Desert sieht sich der Besucher nun der Erbarmungslosigkeit der Zentralperspektive ausgesetzt, die ihm, ein eindimensionales Labyrinth, keinen Ausgang oder Ausweg zeigt. Das Außen ist in seiner Verborgenheit in erhöhter Präsenz gegenwärtig, seine Sichtbarkeit beschränkt oder konzentriert auf den Himmel. Dieser Himmel ist das einzige, das sich, außer der 1st person selbst, während des halbstündigen Gangs wird verändern können. Gegen Ende erscheint dann dort, wo zuvor der Fluchtpunkt war, in einer Art perspektivischem accellerando erneut die Landschaft, wie eine Erscheinung, einer Epiphanie gleich, und so eine andere geworden – der Besucher ist gleichsam »an einem anderen Ort«, wie es bei Hebel so beunruhigend heißt. — Er geht nun in der Richtung der Mauern geradeaus weiter, um schließlich an einem festgelegten Punkt das Auto zu erreichen, das in der Zwischenzeit von einer second person, wie die genannte Zeichnung festlegt, dorthin gefahren wurde. Vor dem Hintergrund zweier später Arbeiten, Bel Air Trilogy, 2000-2011 und Truck Trilogy, 2011-2017, in denen Autos eine tragende Rolle spielen, wird deutlich, daß auch hier der second person, ihrer Bewegung und dem Auto selbst eine alles andere als dienende Bedeutung zugedacht ist. — Die Summe der unterschiedlichen Bewegungen ist also als Dreieck festgelegt, für das indes keine geometrische Spezifikation definiert ist – ein Dreieck, das sich aus drei gänzlich unterschiedlichen Schenkeln bildet.
Perspektive bei Walter De Maria – Teil 6
»…lines traveling out to infinite points…«
Beobachtungen zur Perspektive im Werk von Walter De Maria
Ein Essay in zehn Lieferungen
6.: Lightning Field und Mile-Long Parallel Walls in the Desert
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Perspektive bei Walter De Maria – Teil 5
Vor dem Hintergrund dieser Aussage fällt es nicht allzu schwer, dem bisher Gesagten zumindest eine gewisse Plausibilität zuzugestehen. Denn obwohl der Einspruch berechtigt ist, die perspektivischen Eigenheiten von Apollo’s Ecstasy seien ja ohne weiteres auch als unbeabsichtigte Folgen gänzlich anderer Intentionen zu erklären, läßt sich das Beharren des Künstlers auf die Vieldeutigkeit (ambiguity) und die Bedeutungsvielfalt ja als Hinweis darauf verstehen, daß in den auf denkbar einfache Elemente und Konstellationen reduzierten Kunstwerken eine überraschende Anzahl von Bedeutungsfacetten zu einem konsistenten Knoten geschürzt sei.
Perspektive bei Walter De Maria – Teil 4
Ein Essay in zehn Lieferungen
Perspektive bei Walter De Maria – Teil 3
3.: Eine Abschweifung zu Melnikov
In diesem Kontext der rhetorischen Analogie mag der Barock die Perspektive (die Zentralperspektive) aufgefaßt haben, wenn sie ihm nicht lediglich ein Werkzeug zur illusionistischen Raumdarstellung war. In einem anderen Sinn zum Werkzeug wird sie Konstantin Melnikov, der in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts mit denselben Mitteln die Auflösung des zentralperspektivischen Raums betrieb und dessen Ziel war, Räume jenseits des statischen Raumbilds der Neuzeit zu bilden, paradoxe dynamische Räume, die darauf angelegt waren, den Betrachter in seiner Gewißheit zu erschüttern und in eine ganz neue Beziehung zur Grundgegebenheit des Raums zu stellen.
Lepanto special
Lepanto special
Lepanto special
Perspektive bei Walter De Maria – Teil 2
2.: Zur Perspektive
Es ist also schon der Raum selbst, der hier den Gegenstand der Perspektive anschlägt – ein Thema, das sich durch ein merkwürdiges Oszillieren auszeichnet zwischen dem, was der Begriff unmittelbar als Teil der geometrischen Optik bezeichnet und seiner Verwendung als Metapher der Welterkenntnis und Weltaneignung. Die Entdeckung oder auch Erfindung der Zentralperspektive läßt sich, wenn auch nicht ohne Vorbehalt, durchaus als den Gründungsakt der Neuzeit auffassen. Der Nachweis, daß das Sehen, also die Wahrnehmung, genauen geometrischen Gesetzen folgt, somit eins ist mit der intelligiblen Erkenntnis, muß ein grandioser Befreiungsschlag gewesen sein.
Die älteste bisher gefundene Photographie der INO, ehemals Vaporetto 20 –
Perspektive bei Walter De Maria – Teil 1
»…lines traveling out to infinite points…«
Ein Essay in zehn Lieferungen
1.: Der Raum im arsenale
Apollo’s Ecstasy, ein 1990 entstandenes Werk von Walter De Maria, war 2013 ein Lichtblick auf der Biennale in Venedig, ein Ereignis, das jede Anreise lohnte – wobei vielleicht der letzte Teil des Wegs sich als der undankbarste erweisen mochte, der Gang durch die endlosen Hallen des arsenale mit all den hier versammelten Konfusionen.
Gewalttätiges aus Zadar
Die sala dello scrutinio im Dogenpalast ziert ein großes Gemälde von Tintoretto, eine wüste Schlachtenszene, La conquista di Zara betitelt. Dargestellt ist die 13tägige Belagerung von Zadar im Jahr 1202, die mit der Einnahme und, wie es sich gehörte, Plünderung und mit Ausnahme der Kirchen nahezu vollständigen Zerstörung der Stadt endete und sie in venezianischen Besitz brachte, allerdings nur bis 1242. Danach ging es hin und her, die Herrschaft wechselte häufig, bis schließlich Ladislaus von Neapel, der 1403 in Zadar zum kroatisch-ungarischen König gekrönt worden war, 1409 die Stadt samt seiner Rechte auf Dalmatien für 100.000 Dukaten an die serenissima verkaufte. In deren Besitz sollte sie bis 1797 bleiben, bis also das venezianische Staatswesen sein Ende nahm.