Ein verengendes Panorama

Vor acht Jahren, 2010 war es, daß Istanbul die Rolle der Europäischen Kulturhauptstadt übernahm. — Zur Erinnerung: Ziel dieser Einrichtung ist es, den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen und ein besseres Verständnis der Bürger Europas füreinander zu ermöglichen – so wenigstens ist es in Wikipedia zu lesen, und in diesem besonderen Fall war es das erklärte Ziel, die Türkei näher an Europa heranzuführen. Ob Melina Mercouri, auf deren Initiative die alljährliche Ausrufung einer kulturellen Hauptstadt Europas zurückgeht, bei ihrem Vorstoß auch die ehemalige Hauptstadt des Osmanischen Reiches in betracht gezogen hatte, wird sich kaum herausfinden lassen.

Rechtzeitig zu diesem Ereignis war in Istanbul ein neues Museum fertiggestellt worden, in nicht allzu attraktiver Lage zwar, doch immerhin im Topkapı Kültür Parkı, einer durchaus ausbaufähigen Ansammlung von Einrichtungen, die wohl unter einem eher weitgefaßten Kulturbegriff zu subsumieren wären: das ›Panorama 1453 Tarih Müzesi‹ – dies läßt sich nur Wort für Wort ins Deutsche übertragen: Panorama 1453 Geschichts-Museum. Inwiefern ein Schlachtenpanorama – nichts anderes ist es, das es hier zu sehen gibt – den Anspruch eines Museums behaupten kann, das wäre freilich zu hinterfragen. Denn es handelt sich keineswegs um eine historische Installation wie etwa das Bourbaki-Panorama in Luzern, das man wohl weniger wegen der hier dargestellten humanitären Großtat besucht, nämlich der größten je durchgeführte Flüchtlingsaufnahme der Schweiz, die Internierung der 87000 Mann der französischen Bourbaki-Armee am Ende des deutsch-französischen Krieges von 1870/71, eines Ereignisses, dessen man nicht ohne Hochachtung gedenken kann, sondern wegen seiner kulturhistorischen Bedeutung und seines jenseits des Spektalulären künstlerischen Gehalts. Hier in Istanbul liegen die Dinge anders. Nicht das Panorama ist der Gegenstand des Museums, sondern das Ereignis, an das es erinnern soll: Der Durchbruch durch die Theodosianische Landmauer und der Fall Konstantinopels am 29. Mai 1453, der endgültige Sieg der Osmanen über das Byzantinische Reich also, und der Sieg des Islam über das Christentum. Die Pespektive ist, wie könnte es anders sein, in jeglicher Hinsicht die der Sieger – sie sind nahe und mit individuellen Zügen ausgestattet, nicht zuletzt Mehmet der Eroberer, der in der Reihe seiner Würdenträger vor lauter Hoheit schier vergehen will. Geht es um ihn herum gemessen und statuarisch zu, wie bei einer byzantinischen Darstellung von Christus inmitten der Apostel, so ist an anderer Stelle an Grausamkeiten nicht gespart.

Nun ja, das Ganze erfüllt zweifelsohne des Anspruch patriotischer Erbauung – die Geräuschkulisse, Kanonendonner, Feldgeschrei und Janitscharenmusik, trägt noch das Ihrige bei –, und es mangelt nicht an Lob aus höchsten Regierungskreisen (Gül, Erdogan usw.) für das Unternehmen. Was sagt uns aber die Tastsache, daß diese als Museum maskierte chauvinistische Indoktrination unter dem Deckmantel der Kultur dahergesegelt kommt, also nicht ohne Schamlosigkeit mit einem kulturellen Anspruch überformt ist und überdies in den Zusammenhang mit der Wahl Istanbuls zur europäischen Kulturhauptstadt gestellt? Es kann hier kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Eroberung Konstantinopels von Mohammed selbst prophezeit und als herrliche Tat bezeichnet worden war, in einem Hadith, der am Eingang der Hagia Sophia zu lesen ist: »Wahrlich, Konstantinopel wird erobert! Der erobernde Kommandant, was für ein herrlicher Kommandant. Die erobernde Armee, was für eine herrliche Armee.« — Daß in manchen Kreisen die Eroberung Konstantinopels als noch nicht abgeschlossen gilt und ihre Vollendung dem zwölften Immam vorbehalten sei, öffnet hier im Panorama ein zusätzliches Spektrum esoterischer Spekulation.

Doch auch wenn es als heilige Handlung gerechtfertigt sein mag, ist das Verbrechen – anders kann man es aus der Sicht des Völkerrechts nicht bezeichnen –, das hier als ein Gründungsmythos der Türkei und als historischer Identifiationspunkt glorifiziert wird, kaum anders denn als Kampfansage aufzufassen an das, was man als das durch die Aufklärung geprägte Europa und seine Tradition bezeichnen kann. Dies möge nicht falsch verstanden werden; Mehmet der Eroberer handelte gemäß den Regeln seiner Zeit, und die Geschichtsschreibung streicht zu Recht seine rühmenswerte Toleranz heraus, an der sich das christliche Abendland hätte ein Beispiel nehmen können. Doch geht es hier im Panorama nicht um den Sultan, sondern um das im aktuellen Kontext des in der Türkei stattfindenden Kulturkampfes Vermittelte. Bemerkenswerterweise wird in den Vorräumen des Panoramas eine Parallele zwischen den Ereignissen von 1453 und 1922 gezogen, der Einnahme des von Griechenland besetzten Smyrna (Izmir) durch die Truppen Atatürks. Der Gründungsmythos der modernen, an westeuropäischen Vorbildern orientierten Türkei wird so in eine kontinuierliche Erzählung von der militärischen gottgewollten Überlegenheit des Islam eingebaut, genauso wie die Schlacht von Gallipoli (Çanakkale), wo geflissentlich verschwiegen wird, daß der Oberbefehlshaber, Otto Liman von Sanders, ein preußischer General war, der zuvor die desolate osmanische Armee neu organisiert hatte, und daß der Held der Stunde, Oberstleutnant Mustafa Kemal, später Atatürk, dem Islam wenig abgewinnen konnte und in der Folge als Staatspräsident den Aufbau eines konsequent laizistischen, wenn nicht gar religionsfeindlichen Staats durchsetzte.

Heute weht, wie die recht simple, doch wohl erfolgreiche Rhetorik des ›Panorama 1453 Tarih Müzesi‹ zeigt, ein ganz anderer Wind. Die IBB Kültür A.S., der Träger der Einrichtung, stellt auf der Internetseite des Panoramas den Anspruch klar: »… we freeze the historical moment through Panorama 1453 Museum of History, which will definitely shed light to our past and present, and bestow it as a gift to the future